Für Toni, der sich immer noch einen Weg in den Himmel bahnt

Franco Piperno

Wir veröffentlichen eine Erinnerung an Toni Negri, geschrieben von Franco Piperno, verlesen anlässlich der Trauerfeier am 3. Januar in der Laienkapelle des Père Lachaise. (Machina)

Mitte Dezember, an einem jener Morgen, an denen der Himmel eine verlorene Sonne zu begrüßen scheint, starb der Genosse Toni Negri in Paris.

Seit seinem Tod ist viel über Toni geschrieben und gesagt worden, vielleicht hätten wir in manchen Fällen gemeinsam über einen seiner heftig-ironischen Witze gelacht. Ich möchte mit Ihnen nur ein paar Erinnerungen teilen und die Analyse des theoretisch-politischen Weges auf ein anderes Mal verschieben. Die erste ist die von Toni in einem Physiklabor, er war neugierig zu verstehen, er genoss es und jedes Mal, wenn etwas, das vorher unverständlich war, klar wurde, zeichnete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ab: Verstehen war für ihn ein sinnliches Vergnügen. 

Im Gegensatz zu vielen, die sich in der Akademie verschanzen und versuchen, die Karriereleiter hinaufzuklettern und Auszeichnungen zu ergattern, ging es ihm um die Einsicht, sich gegen ein ungerechtes System zu verschwören und zu handeln; das System, in dem wir leben. Toni hatte Fehler, aber er war kein Opportunist, er war vielmehr manchmal von den falschen Dingen überzeugt, aber er glaubte an diese Dinge und das hat ihn irgendwie „entlastet“. Vielleicht sollte man, um Toni zu ehren, über die Grenzen des Gedenkens hinausgehen, um den Weg des Angriffs auf den Himmel trotz allem immer wieder zu beschreiten.  Toni suchte unermüdlich mit anderen nach Wegen, um zu reagieren und zu kämpfen, er suchte Mitstreiter, Verbündete in dem Versuch, die Welt zu verändern, ohne die Freude zu verlieren, etwas, das zu seinem Rüstzeug für den Kampf gehörte. Ich erinnere mich an seine späten Nächte, in denen er für die Zeitung in Mailand schrieb, an seine Witze bei Versammlungen. Es war eine verzweifelte Freude in ihm. Wir sagten uns am Telefon, dass wir unter anderem über unsere Misserfolge in der Welt des Gesundheit schreiben sollten.

Das heißt, dass die Kapitulation nicht auf der Tagesordnung stand, trotz wiederholter Versuche, uns verschwinden zu lassen oder zum Schweigen zu bringen. Ich vermisse ihn, ich fühle mich reduziert, aber gleichzeitig hatte ich, wie andere auch, das Glück, Zeit und Ideen mit ihm zu teilen. Sie werden verstehen, dass man Zeit braucht, um den Tod eines Genossen wie Toni zu verarbeiten. In der Zwischenzeit umarme ich alle, die ihn liebten und schätzten, ganz herzlich. Franco.

Erschienen am 25. Januar 2024 auf Machina, ins Deutsche übertragen von Bonustracks. 

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Theater und Politik

Giorgio Agamben

Es ist zumindest eigenartig, dass wir uns nicht über die ebenso unerwartete wie beunruhigende Tatsache wundern, dass die Rolle des politischen Führers in unserer Zeit zunehmend von Schauspielern übernommen wird: Dies ist der Fall von Zelensky in der Ukraine, aber das Gleiche geschah in Italien mit Grillo (graue Eminenz der 5-Sterne-Bewegung) und noch früher in den Vereinigten Staaten mit Reagan. Sicherlich kann man in diesem Phänomen einen Beleg für den Niedergang der Figur des Berufspolitikers und den wachsenden Einfluss der Medien und der Propaganda auf alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens sehen; in jedem Fall ist jedoch klar, dass das, was geschieht, eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Politik und Wahrheit impliziert, über die es nachzudenken gilt. Dass Politik etwas mit Lügen zu tun hat, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit; aber das bedeutete einfach, dass der Politiker, um Ziele zu erreichen, die er aus seiner Sicht für wahr hielt, ohne allzu große Skrupel eine Lüge erzählen konnte.

Was sich vor unseren Augen abspielt, ist jedoch etwas anderes: Die Unwahrheit wird nicht mehr für politische Zwecke eingesetzt, sondern im Gegenteil, die Unwahrheit ist selbst zum Ziel der Politik geworden. Das heißt, die Politik ist schlicht und einfach die soziale Artikulation der Lüge. Man versteht also, warum der Schauspieler heute notwendigerweise das Paradigma des politischen Führers ist. Nach einem Paradoxon, das uns von Diderot bis Brecht vertraut geworden ist, ist der gute Schauspieler nicht derjenige, der sich leidenschaftlich mit seiner Rolle identifiziert, sondern derjenige, der sie sozusagen kühl auf Distanz hält. Er wird um so wahrer erscheinen, je weniger er seine Lüge verbergen wird. Die Theaterbühne ist also der Schauplatz einer Operation an Wahrheit und Lüge, bei der das Wahre durch die Zurschaustellung des Unwahren erzeugt wird. Der Vorhang hebt und schließt sich gerade deshalb, um das Publikum an die Irrealität dessen, was es sieht, zu erinnern.

Was die Politik heute ausmacht – die, wie man so schön sagt, zur Extremform des Spektakels geworden ist -, ist eine noch nie dagewesene Umkehrung des theatralischen Verhältnisses zwischen Wahrheit und Lüge, die darauf abzielt, die Lüge durch eine besondere Operation mit der Wahrheit herzustellen. Die Wahrheit ist, wie wir in den letzten drei Jahren sehen konnten, in der Tat nicht verborgen und bleibt für jeden, der sie wissen will, leicht zu erkennen; aber wenn früher – und nicht nur im Theater – die Wahrheit durch das Zeigen und Entlarven der Unwahrheit zustande kam (veritas patefacit se ipsam et falsum), wird jetzt die Lüge durch das Zeigen und Entlarven der Wahrheit produziert (daher die entscheidende Bedeutung des Diskurses über Fake News). War die Lüge einst ein Moment in der Bewegung der Wahrheit, so zählt die Wahrheit jetzt nur noch als ein Moment in der Bewegung der Lüge.

In dieser Situation ist der Schauspieler sozusagen zu Hause, auch wenn er sich, verglichen mit Diderots Paradoxon, irgendwie duplizieren muss. Kein Vorhang trennt mehr die Bühne von der Wirklichkeit, die – gemäß einem Kunstgriff, den uns die modernen Regisseure vertraut gemacht haben, indem sie die Zuschauer zur Teilnahme am Stück zwingen – selbst zum Theater wird. 

Wenn der Schauspieler Zelensky als politischer Führer so überzeugend ist, dann gerade deshalb, weil er in der Lage ist, immer wieder Lügen zu verbreiten, ohne jemals die Wahrheit zu verbergen, als ob dies ein unvermeidlicher Teil seines Auftritts wäre. Er leugnet – wie die meisten Führer der NATO-Staaten – weder die Tatsache, dass die Russen 20 Prozent des ukrainischen Territoriums erobert und annektiert haben (das übrigens von mehr als zwölf Millionen Einwohnern verlassen wurde), noch, dass seine Gegenoffensive völlig gescheitert ist; und auch nicht, dass in einer Situation, in der das Überleben seines Landes vollständig von ausländischen Finanzmitteln abhängt, die jederzeit auslaufen können, weder er noch die Ukraine eine echte Chance haben. Ausschlaggebend dafür ist, dass Zelensky als Schauspieler von der Comedy kommt. Anders als der tragische Held, der sich der Realität von Tatsachen beugen muss, die er nicht kannte oder für irreal hielt, bringt die komische Figur die Menschen zum Lachen, weil sie immer wieder die Unwirklichkeit und Absurdität des eigenen Handelns vorführt. Die Ukraine, die einst Kleinrussland genannt wurde, ist jedoch kein komischer Schauplatz, und Zelenskys Komödie wird sich letztlich in eine bittere, sehr reale Tragödie verwandeln.

19. Januar 2024

Giorgio Agamben

Übersetzt aus dem italienischen Original von Bonustracks.  

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Cheikh

Cesare Battisti

Cheick ist ein 2 Meter großer Senegalese mit einem Lächeln, das sein halbes Gesicht einnimmt. So erschien er heute Nachmittag vor meiner Zelle, kurz vor der Zählung. Aber in seinem Blick lag auch ein Schatten der Traurigkeit. Um ehrlich zu sein, war es schon ein paar Tage her, dass ich sein Lachen auf dem Korridor gehört hatte. Aber so ist das im Gefängnis, ein plötzliches Auf und Ab, und die Gründe sind immer zu kompliziert, um sie zu erklären. Er schwieg einige Augenblicke lang, die Stirn hinter dem oberen Teil der Gittertür verborgen. Ich näherte mich ihm und er senkte den Kopf. Ich merkte, dass er mir etwas Ernstes zu sagen hatte, denn es war das erste Mal, dass er sich für mich interessierte, abgesehen von dem üblichen „Guten Morgen“. Ich fragte ihn, was er hatte.

Er erzählte von einem Verwandten, der sich in einem Gefängnis im Süden das Leben genommen hatte, „ein netter Mensch“, das hätte er nicht erwartet.

„Bisher sind so viele im Gefängnis gestorben“, begann er, „aber man denkt immer, es sind arme Menschen mit wer weiß welchen Problemen im Kopf, Menschen ohne Hoffnung. Jetzt aber weiß ich, dass es jeden treffen kann, und ich schlafe nicht mehr. All diese Menschen, die sterben und umsonst leiden, Familienangehörige, aber niemand kümmert sich… Ich habe noch nie darüber nachgedacht, nicht so. Es bräuchte nur eine Geste, eine kleine Sache, damit wir und unsere Stille sich als Teil dieser Welt fühlen.“

Jeder, der diesen großen, immer gut gelaunten und unbekümmerten Mann noch nie gesehen hat, würde seine Sorgen normal finden. Ich meine, er ist immer noch ein Gefangener. Aber Cheikh hat bei mir Neugierde geweckt. Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ein Gefangener Sorgen äußert, die über sein eigenes Gerichtsverfahren hinausgehen.

Also ermutigte ich ihn, fortzufahren.

„Ich meine, weißt du, es gibt so viele Frauen, die getötet werden, und man begeht zu Recht den Frauentag, dann gibt es Polizisten, und man begeht den Tag der Polizisten, es gibt auch den Tag der Tiere, und es ist richtig, auch an sie zu erinnern. Es dient dazu, die Menschen zu verstehen, allen Kraft zu geben, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen. Aber warum, so ist zu lesen, redet man dann nicht mit jemandem, um auch den Tag der Gefangenen zu begehen? Ich spreche nicht von Kriminellen, sondern von denen, die im Gefängnis leiden und sterben“.

Ein Tag des Gedenkens und der Anteilnahme am Leid derer, die einen Freund oder Verwandten hinter Gittern betrauern.

Das ist es, was Cheikh Niang meinte. In diesem Moment wurden wir unterbrochen und er ging hocherhobenen Hauptes davon. Als ich anfing, in meiner Zelle auf und ab zu gehen, hätte ich damit nicht aufhören können, wenn ich nicht beschlossen hätte, jemandem davon zu erzählen: Was, wenn es ein vernünftiger Vorschlag wäre?

P.S.

Ich erzähle diese Episode, die sich wirklich ereignet hat, und gebe sie so weiter, wie sie war, weil ich glaube, dass dies die beste Art und Weise ist, die Botschaft zu vermitteln oder denjenigen, die es in Erwägung ziehen könnten, die Idee vorzuschlagen, einen „Tag der Opfer hinter Gittern“ einzuführen. Ich bin mir bewusst, dass mein Name angesichts einer solchen Initiative in einigen Kreisen der Öffentlichkeit Verwirrung stiften könnte, weshalb ich es nicht für nötig halte, öffentlich aufzutreten, im Gegensatz zu Cheikh Niang, der kein Problem damit hat, sich zu exponieren.

Cesare Battisti sitzt seit Jahren im Knast für Taten, die über 40 Jahren her sind, der Staat rächt sich immer noch für den antagonistischen Aufbruch der 70er in Italien, von dem Cesare ein Teil war. Von ihm sind mehrere im Exil und im Knast entstandene Bücher erschienen, von denen leider kein einziges auf Deutsch vorliegt. Carmilla Online veröffentlicht regelmäßig aktuelle Kurzgeschichten von ihm, die teilweise auf Sunzi Bingfa sowie auf Bonustracks auf Deutsch erschienen sind.

Dieser Text erschien im Original am 15. Januar 2023 und wurde von Bonustracks ins Deutsche übertragen. 

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Javier Milei, ein neuer politischer Begriff von Freiheit

Andrea Fagioli

Ohne Zweifel schafft es der folgende Text nicht, eben jener (linken) Lagerverhaftung zu entkommen, deren Versagen (auch in der extrem repressiven Corona Politik in Argentinien) den Weg bereitet hat für den Aufstieg des neuen Präsidenten Javier Milei. Trotzdem ist er der Übersetzung und Verbreitung aller Ehren wert, gerade weil er in der detaillierten Beschreibung der Spezifika des Aufstiegs dieser argentinischen Spielart der neuen libertären Rechten einige wesentliche Grundzüge zu analysieren in der Lage ist. Angesichts der unzähligen Verwerfungen, die derzeit die Welt der ‘neuen Weltordnung’ durchziehen, ist jedes Mosaikstück zu begrüßen, das uns in die Lage versetzt, wieder ansatzweise eine analytische Durchdringung auf der ‘Höhe der Zeit’ zustande zu bringen. 

Bonustracks

“Technische Beweise für eine Diktatur oder eine (neoliberale) Monarchie“. Mit diesen Worten könnte man die ersten Wochen von Javier Milei in der Casa Rosada (Präsidentenpalast, d.Ü.) beschreiben. Das DNU (Decreto di necessità e urgenza) (Dekret der Notwendigkeit und Dringlichkeit) vom 20. Dezember und das Ley Omnibus (siehe dazu den amerika21 Artikel, d.Ü.) – ein Paket von 600 Maßnahmen, die vom Parlament genehmigt werden müssen – beseitigen in jahrzehntelangem Kampf errungene Rechte, erlauben den Verkauf von 41 öffentlichen Unternehmen, von der Ölgesellschaft YPF bis zu Aerolíneas Argentinas, und von natürlichen Ressourcen, vor allem dem Lithium, an dem Argentinien reich ist und das von vielen, angefangen bei Elon Musk, begehrt wird. Außerdem umgehen sie den Kongress und erteilen dem Präsidenten für zwei Jahre (verlängerbar) Sondervollmachten. Mir scheint, dass das, was der frühere Präsidentschaftskandidat Juan Grabois eine „De-facto-Verfassungsreform“ nannte, vor allem den ewigen Traum der herrschenden Klasse Argentiniens offenbart: die Gesellschaft neu zu gestalten. 

Ob sie in der Lage sein wird, diesen Plan in die Tat umzusetzen, bleibt abzuwarten und wird von den parlamentarischen Vereinbarungen abhängen, die die neue Regierung zu schließen vermag – Mileis Partei La Libertad Avanza (LLA) ist weit davon entfernt, in den beiden Kammern eine Mehrheit zu haben, selbst wenn man die nicht wenigen Verbündeten mit einbezieht, die bisher auf den Zug aufgesprungen sind -, vor allem aber von dem Widerstand, auf den sie auf allen Ebenen stoßen wird, angefangen bei der Straße.

In der Gewissheit, dass die Umstände mich zwingen werden, sehr bald wieder über Argentinien zu sprechen, möchte ich hier auf den „demokratischen“ Ursprung – im Sinne von legitimiert nach den Regeln der repräsentativen Demokratie – dieser konservativen und autoritären Wende eingehen. Etwas, das es in diesem südamerikanischen Land noch nie gegeben hat.

Mit Ausnahme der Tage vor der Stichwahl – Tage, an denen Milei seinen Tonfall deutlich milderte – hat der neue Präsident nie einen Hehl aus seinem Programm gemacht, das aus Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, einschließlich aller Subventionen, wie Energie und Verkehr, die das Leben der Argentinier und Argentinier stark betreffen, Privatisierungen und der Zerstörung des „Öffentlichen“ besteht. Ein Programm, das die soziale Gerechtigkeit als Irrweg definiert, in dem jede Maßnahme zur Förderung des Binnenmarktes und damit der Beschäftigung fehlt und in dem die Interessen des Privatsektors (einer Handvoll Akteure) das bestimmende Prinzip der öffentlichen Politik sind. Trotzdem gewann Milei mit überwältigender Mehrheit die Stichwahl gegen den zentristischen Peronisten Sergio Massa, wobei er fast 56 % der Stimmen erhielt, und am 10. Dezember, dem Tag seiner Amtseinführung, war die berühmte Plaza de Mayo in Buenos Aires mit Demonstranten gefüllt, die euphorisch el ajuste (die kommende Sparpolitik) feierten. No hay plata“ („Hier gibt es nichts zu holen“) stand auf den T-Shirts, die viele Sympathisanten trugen. Es ist nicht das erste Mal, dass in Argentinien eine konservative Wende auf der Straße gefeiert wird: Im September 1955, als ein Staatsstreich unter dem Namen Revolución Libertadora der Regierung von Juan Domingo Perón ein Ende bereitete, wurde die Errichtung der Diktatur mit Unterstützungsdemonstrationen begrüßt. In jenem Fall war es jedoch hauptsächlich die klein- und mittelstädtische Bourgeoisie, die auf die Straße ging. Bei Milei hingegen ist es das erste Mal, dass ein gar nicht mal so kleiner Teil der Bevölkerung eine Regierung unterstützt, die unmissverständlich erklärt, dass sie ihre Lebensbedingungen radikal angreifen wird.

Wenn die neue Rechte im politischen Szenario Argentiniens angekommen ist, um dort zu bleiben, und, wie Ernesto Calvo in der argentinischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique [1] argumentiert, einen Gründungsmoment, ein originelles Epos kreieren kann, ist es meiner Meinung nach von grundlegender Bedeutung, zu versuchen, die Merkmale eines Phänomens zu verstehen, das Elemente mit Erfahrungen wie denen in den Vereinigten Staaten und Brasilien gemeinsam hat, sich aber in anderer Hinsicht ganz radikal von ihnen unterscheidet. Offensichtlich ist in diesem Sinne das Fehlen jeglichen nationalistischen Bezugs, wie die Tatsache zeigt, dass Milei offen Argentiniens große Feindin Margareth Thatcher als eines seiner politischen Vorbilder nennt [2].

Ich werde mich hier auf zwei Elemente konzentrieren, um zu versuchen, die Gründe zu erklären oder, besser gesagt, eine Hypothese über die Gründe aufzustellen, die Milei zur Präsidentschaft geführt haben: die Idee der Freiheit und die Idee der Kaste, die jeweils im Mittelpunkt dessen stehen, was wir als einen kulturellen Kampf und einen moralischen Kampf definieren können. 

Freiheit (Libertà)

Die Art und Weise, wie die Idee der „Freiheit“ in den letzten Jahren in der argentinischen Debatte zirkulierte, ist ein Schlüsselelement bei der Analyse des Erfolgs der liberalen Ultra-Rechten. „¡Viva la libertad. Carajo!“ – mehr oder weniger: „Es lebe die Freiheit. Fuck!“ – ist der Slogan, der Milei berühmt gemacht hat. Er hat ihn in das offizielle Buch der Casa Rosada geschrieben, sobald er den Präsidentenstab in die Hand nahm, aber vor allem hat er ihn schon vor seinem Einstieg in die Politik zwanghaft wiederholt, als dieser Wirtschaftswissenschaftler mit mittelmäßiger wissenschaftlicher Produktivität – zumindest nach den von den Anhängern der globalen akademischen Welt [3] so geschätzten Maßstäben – und heftiger verbaler Inkontinenz ein gern gesehener Gast in den TV-Talkshows war, die ihn berühmt gemacht haben. Das wiederholt er auch heute noch, wenn er im Flugzeug Passagiere beschimpft, die zufällig mit ihm reisen, oder wenn er nach einem Auftritt seiner nachahmenden Freundin Fátima Flórez überraschend die Bühne betritt, um das Publikum zu begrüßen.

Libertad Avanza hat sich in den Mittelpunkt eines sehr aggressiven Kulturkampfes gestellt. Libertad Avanza hat das Wort ergriffen und dank einer skrupellosen Kampagne, die vor allem in den sozialen Netzwerken, die vor allem von sehr jungen Menschen genutzt werden, durchgeführt wurde, ist es gelungen, den Wunsch der Argentinier nach mehr Freiheit in den Wahlen zu verwerten.

Ausgehend von der Konzeption der österreichischen Wirtschaftsschule ist die Freiheit der Libertären eine Freiheit, die immer individuell und negativ ist. Auch wenn es sich um eine wirtschaftliche Freiheit handelt – letztlich ist es die Freiheit des Kapitals -, bezieht sie sich auf den Schutz des Einzelnen vor den Einschränkungen anderer, vor der „Tyrannei“ des Staates.

Der harte Kern von Mileis Anhängern ist eine Gruppe junger Menschen, vor allem Männer zwischen 16 und 30, die sich in den letzten zwei Jahren politisiert haben. Für diese jungen Leute, die nach den Jahren der Hegemonie des Washingtoner Konsenses (Wiki Eintrag dazu, d.Ü.) geboren wurden oder zu jung sind, um sich aus erster Hand an dessen Auswirkungen zu erinnern, ist das Adjektiv „liberal“ kein Schimpfwort. Sie bezeichnen sich mit Stolz als rechts, sind vehement antifeministisch und oft gegen das Recht auf Abtreibung; viele von ihnen konsumieren Texte der Hoover Institution, des Blogs des Mises-Instituts, aber auch die lokalen Epigonen, die libertäre Ideen in sozialen Netzwerken, insbesondere Tik Tok, verbreiten. Unabhängig von ihren persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen unterstützen sie eine Agenda, die die „Kettensäge“ zu ihrem Schlachtross macht: Abschaffung zahlreicher Ministerien, Reduzierung der Steuerlast, der monetären Grundmenge, deren Verringerung als einziges Mittel angesehen wird, um aus der im Land herrschenden Inflationsspirale herauszukommen, usw. Wie die Forscherin Melina Vázquez feststellte, handelt es sich dabei um junge Menschen, die der kirchneristischen Erfahrung äußerst kritisch gegenüberstehen, die aber Formen der Organisation und der jugendlichen Militanz aus dem Kirchnerismus übernehmen.  Dies ist zweifellos eines der besonderen Merkmale der neuen argentinischen Rechten: Anders als die Regierung von Mauricio Macri (2015-2019) hat die von Milei Unterstützung unter den jungen Leuten, die mit der Linken und dem Peronismus um die historische Hegemonie auf der Straße ringen. Im Moment – zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels ist noch kein Monat seit der Amtseinführung vergangen – scheint dieser Kern bereit zu sein, die Wirtschaftspolitik des neuen Präsidenten zu verteidigen, selbst wenn sich ihre materiellen Lebensbedingungen verschlechtern.

Wenn Mileis Liberalismus die Schlacht der politischen Vorstellungskraft gewonnen hat, wie der Politikwissenschaftler Pablo Méndez [4] argumentiert hat, dann liegt das nicht nur daran, dass der Kern der jungen Menschen politisch als Liberale geformt wird, sondern auch daran, dass die „Freiheit“, an die er appelliert, keine eindeutige Bedeutung hat und Menschen anspricht, die anders denken. Am 29. November – Milei war seit etwas mehr als einer Woche gewählter Präsident – berichtete ein Artikel von Federico D’Addario in der Tageszeitung Pagina 12 von einem Wortgefecht, das sich in einem der Bahnhöfe der Mitre-Linie abspielte, deren verschiedene Zweige das Stadtzentrum mit dem weiten westlichen Hinterland der argentinischen Hauptstadt verbinden. Die Protagonisten: ein Straßenverkäufer und zwei Polizisten, die ihn ohne viel Federlesens aus dem Weg räumen wollen. Als sich der Streit zuspitzt, beschwert sich der Verkäufer von Kirsch- und Cherrytomaten bei den Polizisten, dass sie ihm „die Freiheit nehmen, dort zu arbeiten, wo ich will“, und fährt fort: „Die Zeit, in der Sie uns nicht arbeiten lassen, ist vorbei“. Einer der Polizisten, die inzwischen zahlreicher geworden sind, antwortet daraufhin verärgert: „Nein, nichts ist vorbei. Für euch ist die Party vorbei“ [5]. 

Im Falle des Straßenhändlers scheint die Freiheit in Bezug auf den Staat gedacht zu werden, der denjenigen, die versuchen, über die Runden zu kommen, das Leben schwer macht. Diejenigen, die sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen, manchmal sogar an der Grenze zwischen Legalität und Illegalität, sind eines Staates überdrüssig, der Genehmigungen und Lizenzen verlangt und den sie oft mit ihrem direktesten Gesprächspartner identifizieren: der Polizei. Für den anderen Protagonisten der Szene bedeutet die Wahl von Milei „das Ende der Party“ für diejenigen, die wie der Straßenhändler von der Opportunität leben, aber vor allem auch das Ende der Menschenrechtspolitik, die ihm die Hände bindet. Das von Ministerin Patricia Bullrich am 14. Dezember angekündigte neue Protokoll zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, das darauf abzielt, soziale Proteste illegal zu machen, und die neuen “Regeln zur Selbstverteidigung”, die im Ley Omnibus enthalten sind, vermitteln den Eindruck, dass die Männer und Frauen in Uniform sich nicht allzu sehr für etwaige „Exzesse“ verantworten müssen, im Gegenteil, sie werden mit der vollen Unterstützung der Exekutive rechnen können.

Ein grundlegender Anstoß für eine bestimmte Art des Freiheitsdenkens ging auch vom No-Vax-Horizont aus. Der Aufschwung von Milei bei den Wahlen geht auf die Zeit nach der sehr langen Quarantäne zurück. Damals wurden die Masken, die von einem Moment auf den anderen zu einem Teil unseres Alltags wurden, verbrannt. In der chaotischen Landschaft jener Monate standen die Nachfrage nach „westlichen“ Impfstoffen – Pfizer und Moderna wurden gefordert, während Sinopharm und Sputnik verabreicht wurden -, Anschuldigungen wegen Massenvergiftung und die Anprangerung der Geschäfte der multinationalen Pharmakonzerne auf der Straße nebeneinander. Die Kritik an der Regierung wegen einiger Entgleisungen, die ebenso unverständlich und harmlos wie ungerechtfertigt und symbolträchtig waren, sorgte für Unmut, vor allem bei den nicht garantierten Segmenten, den informellen Arbeitnehmern oder den Selbstständigen, für die zu Hause zu bleiben bestenfalls bedeutete, nichts zu verdienen und schlimmstenfalls erhebliche Verluste anzuhäufen. Aber im Allgemeinen begann sich in diesem Zusammenhang eine Vorstellung von Freiheit als Abwesenheit von Konditionierung, als Abwesenheit von Einmischung zu verallgemeinern.

Die negative Freiheit der Liberalen hat sich bei denjenigen durchgesetzt, die frei sein wollen von denen, die die Menschen- oder Sozialrechte verteidigen, von denen, die verhindern, dass Menschen dort arbeiten, wo sie wollen, von denen, die Menschen nicht erlauben, ihre Wohnung ohne nachweisbare Gründe zu verlassen, von denen, die Menschen zum Impfen zwingen, von denen, die auf einer App die Erlaubnis verlangen, mit dem Bus oder der U-Bahn zu fahren, usw. In dieser Hinsicht sind bestimmte Sehnsüchte nach Freiheit – offensichtlich nicht zufällig – auf den ideologischsten Teil der libertären Wählerschaft gestoßen.

Die Frage ist, wie viele von denen, die sich von dieser Idee der Freiheit haben verführen lassen, das libertäre Projekt weiterhin unterstützen werden, wenn die Auswirkungen der Stagflation, der Mischung aus Inflation und Schrumpfung der Wirtschaftstätigkeit, die die Regierung selbst für die kommenden Monate erwartet und die sich bereits nach wenigen Wochen Regierungszeit am Horizont abzeichnet, deutlicher sichtbar werden. Hierauf wird man in Zukunft zurückkommen müssen. 

Die Kaste (la casta) 

Milei gewann zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang fast 26 Prozentpunkte hinzu. Es ist wichtig zu verstehen, wie es einem hetzerischen Programm wie dem von Milei gelang, so viele Präferenzen bei denjenigen zu gewinnen, die ihn im ersten Wahlgang nicht gewählt haben. Das erste zu berücksichtigende Element ist der Anti-Peronismus. Seit den 1940er Jahren spaltet der Peronismus die argentinische Gesellschaft weit mehr als die klassische Links-Rechts-Spaltung, von der sie durchzogen ist. Der Anti-Peronismus, der in den letzten 15 Jahren zum Anti-Kirchnerismus geworden ist, als Antwort auf die hegemoniale Version des Peronismus, garantiert jedem Kandidaten, der sich als Opposition präsentiert, eine Stimmenbasis. Trotz des „gemäßigten“ Kandidaten Massa [6] und trotz der lauwarmen Unterstützung eines großen Teils des historischen Gegners des Peronismus, der Unión Cívica Radical (UCR), ist es klar, dass die antiperonistische Stimmung in einem Teil der Wählerschaft vorherrscht.

Aber dieses Gefühl erklärt nicht ganz den Erfolg von Milei. In einer Zeit der Krise, wie sie Argentinien in den letzten Jahren durchlebte, ging der oben beschriebene Kulturkampf mit dem moralischen Kampf gegen die „Kaste“ einher, der auch mit der Krise eines Landes zu tun hatte, das zum Zeitpunkt der Wahlen eine jährliche Inflation von 140 % und eine Währungsabwertung verzeichnete, die die Reallöhne trotz der Aufwärtsbewegung nach unten drückte [7]. Die Wut auf die politische Kraft, die für die Verschlechterung der Lebensbedingungen eines großen Teils der Bevölkerung verantwortlich gemacht wurde, veranlasste einen Teil der Wählerschaft, für den Neuen, den Außenseiter zu stimmen.

“Tiene miedo, la casta tiene miedo“ (Die Kaste hat Angst). Stadionchöre, gesungen von Mileis jüngeren Anhängern, begleiteten den gesamten Wahlkampf. Ein Déjà-vu, das an mindestens zwei Schlüsselmomente in der jüngeren Vergangenheit Argentiniens erinnert, sich aber deutlich von diesen unterscheidet.

Zeitlich am nächsten liegt das Jahr 2008. Damals führte die Änderung der Steuerregelung für Sojaexporte zu einem Konflikt zwischen dem so genannten „Lager“, den Agrarverarbeitern, und der Regierung der damaligen Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner. Die Regierung hatte auf eine Polarisierung in einer populistischen Tonart gesetzt: Volk gegen Elite. Die so genannte „grieta“ (Riss oder Spaltung), die damals entstand, hatte die klassische Spaltung zwischen Peronismus und Anti-Peronismus neu codiert: Auf der einen Seite das (kirchneristische) Vaterland, ein Vaterland, das sich der Kirchnerismus als fortschrittlich und inklusiv vorstellte, neokeynesianisch/postneoliberal, aber nicht antikapitalistisch – es sei daran erinnert, dass an den Ufern des Rio de la Plata kein Bezug zum Sozialismus des neuen Jahrhunderts zu finden war, wie in Venezuela oder Bolivien, und selbst in der Außenpolitik herrschte größere Zurückhaltung – und auf der anderen Seite eine Elite, die sich aus den wichtigsten Akteuren des Agrarexportsektors zusammensetzte und deren Interessen denen des Volkes entgegengesetzt waren. Diese Spaltung wurde jedoch von der gesamten antikirchneristischen Front von rechts her wiederbelebt, die ihrerseits die Trennlinie zwischen dem produktiven Argentinien, vor allem den Provinzen Córdoba, Mendoza, Santa Fe und einem Teil der Provinz Buenos Aires, und dem subventionierten Argentinien, vor allem dem Hinterland von Buenos Aires, das nach diesem Narrativ von den Steuern der Produzenten leben würde, zog.  Emblematisch in diesem Sinne waren die zahlreichen Demonstrationen unter dem Motto „El campo somos todos“ (Das Feld sind wir alle) in einer Region wie Lateinamerika, in der die Grundbesitzkonzentration weiterhin eines der grundlegenden Probleme darstellt. In jedem Fall gelang es dieser Opposition, als Komplize des Endes des expansiven Wirtschaftszyklus und des Rückzugs des Kirchnerismus auf die Agenda der Rechte (egalitäre Ehe, Geschlechteridentität usw.), alle Kräfte, die sich gegen den Kirchnerismus wandten, mit Ausnahme des Trotzkismus, aber einschließlich „Teilen“ des Peronismus, um die Figur von Mauricio Macri, dem damaligen Gouverneur der Stadt Buenos Aires und Ausdruck der Wirtschaftselite, zu versammeln und einer Koalition Leben einzuhauchen, die bei den Wahlen 2015 gewann.

Darüber hinaus hatte sich in den Tagen des Dezembers 2001 eine kastenfeindliche Stimmung herausgebildet, als die Parole „¡Que se vayan todos!  (Lasst sie alle verschwinden) kursierte. Die Zeit der Konvertierbarkeit – die Peso/Dollar-Parität -, die dem Land in den 1990er Jahren eine beispiellose Währungsstabilität beschert hatte, die aber mit dem Zusammenbruch des Arbeitsmarktes und der Zunahme der Ungleichheit einen hohen sozialen Preis hatte, war den Argentiniern mit dem berüchtigten „corralito“ ins Gesicht gesprungen: der Unmöglichkeit, Geld von ihren Konten abzuheben. Wie der Historiker Pablo Stefanoni argumentiert hat, standen in diesem Fall die Gegner des Neoliberalismus und die Befürworter des Neoliberalismus, die von ihm betrogen worden waren, Seite an Seite [8]. Die Unfähigkeit des Peronismus, soziale Bewegungen zu repräsentieren, die mit neoliberalen Reformen verbunden war – und es ist kein Zufall, dass Milei den damaligen Präsidenten Carlos Menem für den besten argentinischen Präsidenten in der Geschichte hielt -, hatte das Entstehen einer transversalen Bewegung gegen diejenigen begünstigt, die das Modell verwaltet hatten – Peronismus und de la Rúas Alianza -, aber auch gegen die großen Wirtschaftsakteure.

Obwohl das Wort „Kaste“ nicht verwendet wurde, nahmen das „Lager“ im Jahr 2008 und das politisch-wirtschaftliche Establishment im Jahr 2001 diesen Platz ein. Milei hingegen führte den Begriff in die politische Debatte Argentiniens ein, indem er ihn in einem Interview mit der konservativen Tageszeitung La Nación im Jahr 2021 folgendermaßen erklärte: „Diejenigen, die in der Politik tätig sind, sind unmoralisch“ und zögern nicht, eine Politik zu betreiben, „die dem Volk schadet, und um die Privilegien der Kaste zu schützen, sagen sie: Nein, ihr könnt nichts anderes tun“. Ein frisch gewählter Milei erklärte in demselben Interview, er werde „aufzeigen, wer die Kaste ist“. Zu dieser völlig inhaltsleeren Definition, die perfekt auf das Gemetzel der ersten Wochen seiner Amtszeit zutrifft, fügte er im selben Interview hinzu: „Im Gegensatz zu den Katastrophen von 2001, 2002 und 2003, für die es eine linke Lösung gab, gibt es heute eine wirklich liberale Lösung, die Lösung von Alberdi, die Argentinien zum reichsten Land der Welt gemacht hat“ [9].

Zwei Elemente stechen hervor. Nicht nur, dass Mileis Definition der Kaste im Gegensatz zu 2001 und 2008 das verdichtete Kapital ausklammert, er verweist auch auf das Argentinien des 19. Jahrhunderts als ein verlorenes Paradies (Alberdi war einer der Väter des lateinamerikanischen Liberalismus und der argentinischen Verfassung von 1853). Außerdem geht Milei im Vergleich zu allen Rechten, die seit der Rückkehr zur Demokratie (1983) einen gewissen Einfluss hatten, einen Schritt in eine autoritärere Richtung: Wenn während der Macrist-Regierung von den „siebzig Jahren Peronismus“ die Rede war, um auf die argentinische Dekadenz anzuspielen – lassen wir einmal beiseite, dass in dieser Rechnung 18 Jahre Verbot des Peronismus und fast 17 Jahre Diktatur enthalten waren -, so spricht Milei von 100 Jahren und bezieht damit auch die andere große argentinische Partei, die mit dem Macrismus verbündete Unión Civica Radical (UCR), in den „Populismus“ ein und fügt die Dekadenz und das allgemeine Wahlrecht für Männer fast vollständig übereinander. [10]

Der Liberalismus aus der Zeit der so genannten konservativen oder oligarchischen Republik, einer Ära, die durch die Unfähigkeit der unteren Schichten gekennzeichnet war, die wenigen formalen Rechte, die sie hatten, auch materiell zu genießen, ist die mythische Vergangenheit, zu der sie zurückkehren wollen. Dieser Liberalismus, der für Milei nicht für alle, sondern nur für „gute Menschen und anständige Argentinier“ gilt, begann bereits am 11. Dezember zu scheitern, als die Gesichter seiner Sympathisanten noch von den vielen in der Sonne verbrachten Stunden des Jubels über den Beginn einer neuen Ära glühten.

Anmerkungen

[1] E. Calvo, Un nuevo actor político, Le Monde Diplomatique, Dezember 2023. https://www.eldiplo.org/294-que-nos-espera/un-nuevo-actor-politico/

[2] Margareth Thatcher war die britische Premierministerin zur Zeit des Malwinen-Krieges, der immer noch ein wichtiges Thema in der argentinischen Außenpolitik ist. 

[3] Die Scopus-Datenbank zeigt, dass Milei von 1998 bis heute 2 Artikel veröffentlicht hat (einen als Co-Autor) und genau null mal zitiert worden ist.

[4] P. Méndez, Milei y la batalla por las ideas, Revista Bordes, 15. August 2023. http://revistabordes.unpaz.edu.ar/milei-y-la-batalla-por-las-ideas/

[5] F. D’Addario, A ustedes se les acaba la joda, Seite 12, 29. November 2023. https://www.pagina12.com.ar/690118-a-ustedes-se-les-acaba-la-joda

[6] Bei den Präsidentschaftswahlen 2015 trat Massa gegen den kirchneristischen Kandidaten Daniel Scioli an, erhielt im ersten Wahlgang 20% der Stimmen und „lenkte“ sie in der Stichwahl auf Macri um. Er gilt als sehr verbunden mit bestimmten Botschaftskreisen (wenn man von „Botschaft“ in Argentinien spricht, muss man nicht „USA“ angeben).

[7] Die für die ersten Monate der Regierung Milei erwartete Inflation liegt bei rund 30% pro Monat.

[8] P. Stefanoni, Peinar el 2001 a contrapelo: del „argentinazo“ a la nueva derecha, Nueva Sociedad, 308, 2023, S. 74-87.

[9] Programm „Hora21“, La Nación+, 11. Dezember 2021.

[10] Das Saenz-Peña-Gesetz, mit dem das allgemeine Wahlrecht für Männer verankert wurde, stammt aus dem Jahr 1912, aber erst 1916 konnten alle männlichen argentinischen Bürger ihr Wahlrecht ausüben.

Veröffentlicht auf Italienisch am 15. Januar 2024 auf Machina, ins Deutsche übertragen von Bonustracks. 

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Die dreißiger Jahre liegen vor uns

Giorgio Agamben

Im November 1990 hielt Gérard Granel, einer der hellsichtigsten Köpfe der europäischen Philosophie, an der New School for Social Research in New York einen Vortrag, dessen gewiss bezeichnender Titel bei den Wohlmeinenden einige empörte Reaktionen hervorrief: Die dreißiger Jahre liegen vor uns. Auch wenn die von Granel durchgeführte Analyse genuin philosophisch war, so waren ihre politischen Implikationen in der Tat sofort erkennbar, denn es handelte sich in der scheinbar trockenen chronologischen Zusammenfassung schlicht und einfach um den Faschismus in Italien, den Nationalsozialismus in Deutschland und den Stalinismus in der Sowjetunion, d. h. um die drei radikalen politischen Versuche, „die Ordnung, in der sich Europa bisher wiedererkannt hatte, zu zerstören und durch eine ‘neue Ordnung’ zu ersetzen“. Granel konnte überzeugend darlegen, dass die europäische intellektuelle und politische Klasse gegenüber dieser dreifachen Novität ebenso blind war wie – in den 1990er Jahren wie heute – gegenüber ihrem beunruhigenden, wenn auch gewandelten, Wiederaufleben.

Es ist kaum zu glauben, dass Leon Blum, der Führer der französischen Sozialisten, zu den deutschen Wahlen vom Juli 1932 erklären konnte, dass „Hitler im Gegensatz zu den Vertretern des alten Deutschlands das Symbol des Geistes des Wandels, der Erneuerung und der Revolution ist“ und dass ihm daher der Sieg von Schleicher „noch trostloser als der Hitlers“ erscheinen würde. Und wie ist die politische Sensibilität von Georges Bataille und André Breton zu beurteilen, die angesichts der Proteste gegen die deutsche Besetzung des Rheinlandes ohne Scham schreiben konnten: „Wir ziehen auf jeden Fall die antidiplomatische Brutalität Hitlers vor, die in der Tat friedlicher ist als die geifernde Aufregung der Diplomaten und Politiker“. Die These also jenes Essays, dessen Lektüre ich sehr empfehle, lautet, dass der historische Prozess, der, in den 1930er wie in den 1990er Jahren, in denen er geschrieben wurde, im Gange ist, gerade durch das Primat des Unendlichen vor dem Endlichen gekennzeichnet ist, das im Namen einer Entfaltung, die absolut grenzenlos sein soll, in allen Bereichen – Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur – die ethischen, politischen und religiösen Schranken abzuschaffen sucht, die ihn bis dahin in irgendeiner Weise begrenzt hatten. 

Gleichzeitig hat Granel am Beispiel des Faschismus, des Nationalsozialismus und des Stalinismus aufgezeigt, wie ein solcher Prozess der Unendlichkeit und der totalen Mobilisierung aller Aspekte des gesellschaftlichen Lebens nur zur Selbstzerstörung führen kann.

Ohne näher auf die Vorzüge dieser sicherlich überzeugenden Analyse einzugehen, geht es mir hier vielmehr darum, die Analogien zu der Situation hervorzuheben, in der wir uns heute befinden. Die Tatsache, dass die 30er Jahre noch vor uns liegen, bedeutet nicht, dass sich die fraglichen abartigen Ereignisse heute in genau derselben Form wiederholen; sie bedeutet vielmehr das, was Bordiga meinte, als er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb, dass die Sieger die Vollstrecker der Besiegten sein würden. 

Überall agieren die Regierungen, unabhängig von ihrer politischen Couleur und ihrem politischen Standort, als Vollstrecker desselben Willens, der ohne Bestandsaufnahme akzeptiert wird. Überall wird der von Granel angeprangerte grenzenlose Prozess der Produktivitätssteigerung und der technologischen Entwicklung blind fortgesetzt, in dem das auf seine biologische Grundstruktur reduzierte menschliche Leben auf jede andere Inspiration als das bloße Leben zu verzichten scheint und bereit ist, seine politische Existenz rückhaltlos zu opfern, wie wir in den letzten drei Jahren gesehen haben. Mit dem Unterschied vielleicht, dass sich die Anzeichen von Verblendung, Gedankenlosigkeit und wahrscheinlich drohender Selbstzerstörung, die Granel beschwor, schwindelerregend vervielfacht haben.

Alles deutet darauf hin, dass wir – zumindest in den postindustriellen Gesellschaften des Westens – in die extreme Phase eines Prozesses eintreten, dessen Ende nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, dessen Folgen aber katastrophal sein könnten, wenn das Bewusstsein für die Grenzen nicht zurückkehrt.

15. Januar 2024

Giorgio Agamben

Übersetzt aus dem italienischen Original von Bonustracks

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Unruhen, soziales Chaos und Krieg

n+1

Das Tele-Meeting am Dienstagabend, an dem 17 Genossen teilnahmen, begann mit einer kurzen Präsentation des Essays Riot.Strike.Riot. Eine neue Ära der Aufstände (1), geschrieben im Jahr 2019 von Joshua Clover.

Nach Ansicht des Schriftstellers und Professors für Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of California, „Davis“, lässt sich seit dem Mittelalter eine historische Dynamik erkennen, bei der es zunächst zu einem Aufstand, dann zu einem Streik und schließlich wieder zu einem Aufstand kommt, allerdings in einer anderen Form als in der Anfangsphase.

Der Text beschreibt, wie sich der Kampf bis zum 19. Jahrhundert hauptsächlich im Bereich der Zirkulation abspielt, da sich dort die für die Reproduktion notwendigen Güter befinden. Später, vor allem mit dem Aufstieg des Proletariats, werden die organisierten Formen des Kampfes gestärkt, Revolten verbinden sich mit Streiks, und der Konflikt äußert sich vor allem in der organisierten Unterbrechung der Arbeit. Ab Ende der 1960er Jahre werden die Kampfformen immer unkontrollierbarer (siehe die Riots in den USA): Sobald die Ära des industriellen Wachstums des Kapitalismus vorbei ist, findet die Akkumulation in der Finanzsphäre statt, zumindest in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, wodurch eine Phase der Verdrängung der Arbeitskraft aus der Produktion eingeleitet wird. Mit dem Ausbruch der industriellen Krise sind die Afroamerikaner die ersten, die mit ernsthaften Überlebensproblemen konfrontiert werden, und die Revolten, die scheinbar einen ethnischen Hintergrund haben, betreffen in Wirklichkeit die Bedingungen von Millionen von Proletariern. 

Die zweite Phase der Revolte oder des Aufstands der ersten Stunde, wie Clover es nennt, gerät daher in direktem Konflikt mit dem Staat, da er über Unterdrückungs- und Kontrollinstrumente verfügt, die frühere Gesellschaften nicht besaßen und die einen nie dagewesenen Grad an Raffinesse erreicht haben. Moderne Streiks betreffen den Personen- und vor allem den Warenverkehr, vom Luftverkehr bis zur Eisenbahn, von der Logistik bis zum Erdöl. So haben die Gilets Jaunes 2018/19 die wichtigsten Verkehrswege besetzt und Autobahnen und Kreisverkehre blockiert. Die Logistik verbindet das Produktionsgefüge und ist im Zeitalter der Just-in-Time- und lagerlosen Produktion von entscheidender Bedeutung.

Wir können der von Clover vorgelegten Analyse einige Überlegungen hinzufügen. Die Struktur der Weltproduktion stellt eine Hülle dar, die nicht mehr ihrem Inhalt entspricht, wie Lenin in „Imperialismus“ (2) sagte (siehe auch den Artikel „Rottura dei limiti d’azienda„). Wenn die Fabrik über das Territorium verstreut ist, so ist es auch das Proletariat: Für die Linke ist der moderne Proletarier ein senza-riserve, ein prekärer Arbeiter, der nicht nur keinen kontinuierlichen Lohn hat, sondern dazu neigt, lebenslang arbeitslos zu sein. In den Vereinigten Staaten haben sich diesenza-riserve eine einzige Parole gegeben: „Wir sind die 99 % gegen die 1 % und wir akzeptieren euer System nicht“. Occupy Wall Street entstand im September 2011 auch aufgrund der Auswirkungen der Subprime-Hypothekenkrise von 2008. Die Finanzialisierung der Wirtschaft verlagert die Widersprüche des Systems nach vorne, indem sie sie vergrößert, und wenn sie ausbrechen, wirken sie sich auf die sogenannte Realwirtschaft aus. Bis heute hat die kapitalistische Welt ihre Performanz nicht verbessert; im Gegenteil, die Einkommensunterschiede haben sich vergrößert, während sämtliche „Wirtschaftsrezepte“ angewendet wurden. Solange das Kapital in der Lage war, die Brosamen, die vom imperialistischen Bankett fielen, zu konzedieren, war das System irgendwie in der Lage, sich selbst zu korrigieren und den Wert zu verteilen; in der gegenwärtigen Ära, mit den Schwierigkeiten bei der Produktion des Mehrwerts, ist kein proletarischer Anspruch möglich, außer für eine andere Gesellschaft zu kämpfen:

„Revolutionäre (und wir werden den vorläufigen Begriff der Anti-Formisten übernehmen) sind die Bewegungen, die den Angriff auf die alten Formen proklamieren und durchführen, und noch bevor sie die Merkmale der neuen Ordnung zu theoretisieren wissen, neigen sie dazu, die alte zu zerschlagen und das unwiderstehliche Auftauchen neuer Formen zu provozieren“. (Tracciato d’impostazione, 1946)

Der Kapitalismus verschärft die wirtschaftliche und soziale Polarisierung, so dass die neuen kämpfenden Kräfte nichts mehr fordern (3) und sich in der Tat kollektiv als Alternativen zum Kapitalismus präsentieren (das in den USA und im Vereinigten Königreich aufgetretene Phänomen, dass Hunderte von jungen Menschen Geschäfte stürmen und sich auf TikTok organisieren, ist kurios). Sie sagen einfach noch nicht, was sie anstelle der gegenwärtigen Produktionsweise wollen, aber wenn sie es täten, würden ihre Forderungen zur Macht der Partei der Revolution avancieren.

@48hourscbs

Newly released footage shows looters breaking into several different stores in Philadelphia. At least 67 adults and five juveniles involved in the various looting incidents have been charged. #looting #crime #truecrime

♬ Crime, incident scene, mystery, investigation, news coverage, etc.(850898) – Shoya Kitagawa

In den letzten Jahren erschienen mehrere Abhandlungen über die Zukunft: von den Unruhen in den Banlieues (4) bis zu Occupy Wall Street (Clover erörtert dies in Kapitel 9, „Riot Now, Square Street, Commune“: die Organisation der Oakland Commune verweist auf die zentrale Bedeutung der sozialen Schichten, die die „überschüssige“ Bevölkerung ausmachen; interessant ist auch der Hinweis auf die Blockade des Hafens von Oakland, die bei zwei Gelegenheiten „mit wenig enthusiastischer Kooperation seitens der Hafengewerkschaften“ stattfand), bis zu den Riots in den USA. Nach Ansicht des Verfassers gibt es bei den zeitgenössischen Aufständen zwei Impulse: die Verbesserung der Lebensbedingungen zu erreichen oder einfach mit dem System zu brechen, indem Autos und Büros angezündet, geplündert und gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei geführt werden. (5) Clover verweist auf die Aufstände, die mit der Entwicklung des Kapitalismus im Westen einhergehen, beachtet aber nicht, was im Osten geschieht, wo die gleichen Probleme auftreten wie in den Ländern des alten Kapitalismus. Oft vermischen sich die unterschiedlichen Klassen, überschneiden sich, und es kommt zu “Scheinbewegungen”. In den USA stürmten vor drei Jahren Tausende von Trump-Anhängern den Capitol Hill. In Brasilien kam es nach den letzten Wahlen fast zu einem Bürgerkrieg zwischen den Anhängern Bolsonaros und den Anhängern Lulas. 

Die Staaten bereiten sich auf Schreckensszenarien vor, wie sie in dem Bericht „Urban Operations in the Year 2020“ (6) (7) beschrieben werden, in dem die NATO-Streitkräfte aufgefordert werden, ihr Wissen zu erweitern und ihre Formen des militärischen Engagements zu variieren, indem sie sich an die extreme Fluidität von Kriegsszenarien anpassen, die heute sehr oft metropolitaner Natur sind.

Das soziale Chaos geht Hand in Hand mit dem Krieg. Im russisch-ukrainischen Konflikt kämpfen junge Menschen aus beiden Ländern an der Front für die Interessen der Bourgeoisie. Der Kampf gegen den Krieg gewinnt an strategischer Bedeutung, weil er bereits weltweit stattfindet (es ist nützlich, die Artikel der Kommunistischen Fraktion in der PSI über ihren Kampf gegen die Sozialdemokratie und den Krieg zu lesen), und in naher Zukunft wird er sich tendenziell verschärfen und immer mehr Bevölkerungsgruppen einbeziehen, wie das anhaltende Massaker im Gazastreifen zeigt.

Israel hat die von der Hamas mit dem Anschlag vom 7. Oktober eingeleitete Compellence (d.h. den Gegner zu Handlungen zu zwingen, die seiner Strategie entsprechen) vollständig akzeptiert. Tel Aviv muss nun die Abschreckung wiederherstellen und mit Gewalt zeigen, dass diejenigen, die Israels Sicherheit bedrohen, extrem hart getroffen werden, selbst um den Preis, dass es die Unterstützung der sogenannten Weltöffentlichkeit verliert. Was im Nahen Osten in Gang gesetzt wurde, kann nicht von heute auf morgen aufhören: Die USA haben pro-iranische schiitische Milizen im Irak und in Syrien angegriffen; vom Libanon aus greift die Hisbollah weiterhin Israel an, das seinerseits Anschläge in Beirut verübt hat; die Houthis im Roten Meer greifen Handelsschiffe verschiedener Nationalitäten an; der Iran hat einen der schwersten Terroranschläge auf seinem Hoheitsgebiet erlitten. Das Chaos neigt dazu, sich auszubreiten und keinesfalls abzunehmen, nicht zuletzt, weil die USA Mühe haben, ihre Rolle als Weltpolizist wahrzunehmen. Diese Situation führt zu einer allgemeinen Aufrüstung der Staaten, zur Umstrukturierung der Armeen und zu einer Änderung der Art der Kriegsführung. Der Westen hat sich jahrelang in dem Glauben wiegen lassen, dass die Geschichte und damit die Kriege und Revolutionen vorbei seien, und stattdessen klopft der Krieg wieder an die Tür, in Asien, im Nahen Osten und in Europa.

Für die Amerikaner liegt die strategische Herausforderung im indo-pazifischen Raum, aber diese wird durch die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten vorweggenommen. Die Welt ist vernetzt, alles geschieht gleichzeitig, alle sind involviert. Die USA befinden sich in einer Krise, weil die materielle Struktur des Kapitalismus Schwierigkeiten hat, sich zu reproduzieren, und China selbst hat mit Problemen der kapitalistischen Senilität zu kämpfen (demografische Krise, Immobilienkrise, Jugendarbeitslosigkeit usw.). Einer der großen Wettkämpfe zwischen China und den USA betrifft die Hochtechnologie, die Mikrochip-Produktion und die Entwicklung der künstlichen Intelligenz und findet im Grenzbereich zwischen Kapitalismus und Zukunftsgesellschaft statt. Nach Robotern und künstlicher Intelligenz ist keine kapitalistische Entwicklung mehr möglich (und die chinesischen und amerikanischen Fabriken sind voll von Automaten), es kann nur noch eine andere Gesellschaftsform geben. Geopolitische Experten sind Meister darin, sich in Details zu verlieren, und gerade deshalb versäumen sie es, die Konflikte in den allgemeinen Verlauf des globalen Kapitalismus einzuordnen, den wir der Einfachheit halber in drei Phasen unterteilen können: Geburt und Entwicklung (maximale Syntropie); Reife (Gleichgewicht, Homöostase); Seneszenz (maximale Entropie).

Fussnoten der deutschen Übersetzung

  1. Ein längerer Auszug aus Clovers Buch erschien im Januar 2021 in der Sunzi Bingfa, darin auch weitere Hinweise zum Buch und den Herausgebern der deutschsprachigen Ausgabe. https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/01/11/riot-strike-riot/
  2. Vollständig: “Wladimir Iljitsch Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus”. Der Text von 1917 komplett online hier https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/imp/index.htm
  3. Der wohl beste Text zu diesen ‘Non-Bewegungen’ stammt von Endnotes und ist in der deutschen Übersetzung unter dem Titel ‘Vorwärts Barbaren’ im Januar 2021 auf Sunzi Bingfa erschienen. https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/01/11/vorwaerts-barbaren/
  4. Ein umfangreicher Überblick über die Riots letzten Sommer in Frankreich ist jüngst auf deutsch erschienen: ‘POUR NAHEL- ANTHOLOGIE DER AUFSTÄNDE’. https://nahelanthologie.blackblogs.org/
  5. Vergleichbare Ereignisse in der BRD wie die Riots im Sommer 2020 in Stuttgart oder zum Jahreswechsel 22/23 in Berlin lassen eine im besten Falle ratlose, im schlimmsten Falle denunziatorische Linke zurück, siehe “Berlin grüßt Athena” von Sebastian Lotzer. https://non.copyriot.com/berlin-gruesst-athena/
  6.  ‘Urban Operations in the Year 2020’ als PDF hier 
  7. Siehe dazu auch: ‘Das Jahr 2020 – ein Virus trifft auf ein NATO Papier’, anonym im Dezember 2020 auf kontrapolis veröffentlicht https://kontrapolis.info/1295/

Im italienischen Original erschienen am 9. Januar 2024 auf n+1, QuinternaLab, in Deutsche übersetzt von Bonustracks. 

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Back To No Future

M.E.K.A.N

Erzählungen aus der Post-Apokalypse

Das postapokalyptische Spiel ist ein Ausgangspunkt, um den Zaubertrick zu lernen, nicht an die Zukunft zu glauben und den elektrisierenden Schauer der Hoffnungslosigkeit zu genießen.

Das Ende ist nah!

„Die Apokalypse steht bevor! Wir stehen am Rande einer unumkehrbaren Katastrophe und müssen alles in unserer Macht stehende tun, um sie zu verhindern! Dies ist möglicherweise die wichtigste Krise, mit der die Menschheit je konfrontiert war!“ In dem System von Macht und Wissen, das wir „Moderne“ zu nennen gelernt haben, waren solche Rufe schon immer sehr laut. Die christliche apokalyptische Eschatologie nistet sich in den Apparaten der „modernen Rationalität“ ein und die bürgerliche Welt brodelt vor millenarischem Eifer.

Dass das Ende der Welt vorherbestimmt ist, ist ein gängiges Narrativ in den meisten Mythologien. Im Gegensatz zu älteren Mythologien klammert sich die bürgerliche Eschatologie jedoch an die Hoffnung, den Weltuntergang zu vermeiden. Sie treibt uns alle auf ihrer Autobahn des lebendigen Todes voran, indem sie den Ochsenziemer der Zukunft einsetzt.

„Es gibt noch Hoffnung, wenn wir jetzt gemeinsam handeln“, sagen sie uns. „Lasst uns einige Elemente unserer Vorgehensweisen umstrukturieren und in die Zukunft der Welt investieren!“, argumentieren sie. Sind diese Argumente stumpfsinnig und heuchlerisch? Sicherlich. Aber schlimmer ist, dass sie alle Lebensbereiche ausschließen, außer den langweiligsten.

Die lebenden Toten

„Was ihr am meisten fürchtet, ist bereits geschehen [1]“. Diese orakelhafte Feststellung ist ein interessanter Anfang für diese Geschichte. Einerseits suggeriert sie, dass das bürgerliche Subjekt von der Angst beherrscht wird, von einer Mischung aus Angst und Verleugnung, die es in einer „prädestinierten“ Form des Seins lähmt, in einer feierlichen, versteinerten Position, die durch ihre Rigidität versucht, den Nukleus der Ungewissheit und des Auseinanderbrechens zu leugnen, der im Kern jeder Identität, Realität, Wahrheit oder jedes Systems nistet. Dieses verkalkte Wesen schreit: „Das ist es, was ich bin! Das ist es, was/wie die Dinge sind!“ Andererseits legt die orakelhafte Behauptung nahe, dass der Ausweg aus dieser Totenstarre darin besteht, den Verlust von „etwas“ zu akzeptieren, das wir nie hatten: Gewissheit, Kontrolle, Fülle, Glückseligkeit usw. oder gar eine Zukunft.

Diese Geschichte beginnt also damit, dass wir etwas loslassen, das wir nie hatten: die Möglichkeit des Fortschritts, der Erfüllung, der Begeisterung, der Emanzipation oder der Freiheit innerhalb der Moderne. In diesem Sinne hat die Apokalypse [2] der modernen Welt bereits stattgefunden: Alle ihre Möglichkeiten, faszinierende Ökosysteme und Lebensformen hervorzubringen, sind längst tot, „tot“ in der Art, wie eine Metapher tot ist, eine Imagination tot ist, eine Leidenschaft tot ist, tot ist wie Salatblätter in einer Plastikschachtel, die unter Neonlicht im Supermarkt in Kohlendioxid ertrunken sind [3]. Wann genau sind sie gestorben? Das spielt keine Rolle, irgendwann in der Geschichte der „Moderne“, höchstwahrscheinlich genau in dem Moment, als die Moderne begann [4].

Das Einzige, was die modernen Machtsysteme derzeit zustande bringen, ist, diese untergegangene Realität in Spasmen zu versetzen, die das Leben mit regelmäßigen Injektionen von Terror und Paranoia imitieren, sie in ein Exoskelett aus kapillarer Kontrolle zu korsettieren und ihre Insassen mit spektakulären Vergnügungen und dem Versprechen auf eine bessere Zukunft vollzustopfen. Währenddessen vermehren sich hinter den vorgetäuschten Orgasmen der Konsum- und Freizeitgesellschaft unbelebte Lebensformen, patentiert und standardisiert wie gentechnisch verändertes Saatgut.

Der Kapitalismus ist tot, lang lebe der Kapitalismus! 

Die Möglichkeiten der modernen kolonialen und liberal-kapitalistischen[5] Regime, Lebensformen zu kreieren, die nicht tot oder, genauer gesagt, nicht untot sind, sind zwar erschöpft, aber sie sind auch nicht zu überbieten. Kein anderes Massenregierungsregime kann die Fähigkeit des liberalen Kapitalismus zur Schaffung von Lebensformen ersetzen, selbst wenn diese Zombies sind. Das heißt: Auch wenn einigen von uns die liberal-kapitalistischen Dispositive von Demokratie, Freiheit, Identität, Glück und Wohlstand als kadaverhaft erscheinen, kann kein Massenregierungssystem sie übertreffen. Denn nach der Moderne, dem Liberalismus, dem Kapitalismus und Hollywood muss jede Form des zentralisierten Regierens seinen Untertanen bürgerliche Modelle der Souveränität, des Begehrens und der Intensität liefern: die Ekstasen des Konsums, die sadistischen Ausbrüche der Ungleichheit, die elektrischen Schocks des Spektakels (einschließlich des Spektakels der Demokratie), die mörderischen Leidenschaften des Identitären und die selbstbetrügerischen Zwänge der Hoffnung.

Der einzige Weg, der denjenigen bleibt, die von massenhaften Machtausübung träumen, besteht darin, sich dem lebendigen Tod der bürgerlichen Ordnung anzuschließen. Und, so möchte ich hinzufügen, das einzige Gebiet, das denjenigen bleibt, die von einem revolutionären Paradies träumen, sind die verkohlten Felder des Märtyrertums, des Rituals und des Dogmas. Für die wenigen, die noch übrig sind und ihre Abkehr von dieser Realität planen, könnte es eine aufregendere Perspektive geben: das Leben in der Postapokalypse.

Du hast vergessen, dass du tot bist?

Bevor man sich jedoch an der Ausweglosigkeit der Postapokalypse erfreuen kann, muss man sich mit dem Dilemma der bürgerlichen Ordnung auseinandersetzen: Sie ist tot, aber sie weiß es noch nicht. Ihr Leichnam bewegt sich blindlings weiter, verliert Fleisch, Gliedmaßen und Eingeweide, folgt idiotischen Gelüsten, ein planetarischer El Cid, leblos und an sein tollwütiges Dampfross gefesselt, das dem Zuckerbrot der Erregung nachjagt, immer wieder zusammenbricht und einer exorbitanten, Frankenstein-artigen Reanimation bedarf.

Die Regierenden und die Experten kämpfen gemeinsam darum, diesen verfallenden Körper aufzurichten und seine Vitalität zu demonstrieren. Sie engagieren sich mit obsessiver Hartnäckigkeit in megalithischen Projekten der Reformierung, Urbanisierung, Modernisierung, De- und Reindustrialisierung, in rücksichtslosen Übergängen zum „Neuen und Besseren“. Die für das System gezüchteten mündigen Bürger konzentrieren sich auf ihre massenhaft produzierten „Bedürfnisse“, „Wünsche“ und „Selbstbestätigung“ und sind bereit, jeden gnadenlos zu vernichten, der sich ihrer (illusorischen) Befriedigung in den Weg stellt.

Dies ist das Zeitalter der Turbo-Faschismen und wird noch eine lange Zeit konvulsierend andauern.

Desintegration und Hoffnungslosigkeit

Um die vorherrschende Realität zu beseitigen, zumindest im eigenen Psycho-Kosmos, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich auf die postapokalyptische Desintegration einzulassen, die den Mythos von sozialer Integration, Einheit, Harmonie und Koordination in Myriaden von unvereinbaren Realitäten zersplittert, die sich nicht neu ordnen, zentralisieren oder in einer regierbaren Einheit verwalten lassen. Die Postapokalypse ist eine Welt, die in Stücke zerbrochen ist, die sich nicht wieder zusammenfügen lassen, und die sich nicht für die Verlockungen von morgen interessiert. Sie ignoriert die Erpressung durch die Zukunft („die Gegenwart ist ein Sprungbrett in die Zukunft“), spuckt auf die Hoffnung („die Dinge werden besser“) und ist immun gegen den Ruf der Pflicht („tun Sie das Richtige für die Welt und für ihre Kinder“). Aber es hat nichts Verzweifeltes oder Resignatives an sich. Sobald die Projektion in die Zukunft aufgehoben ist und das Bestehende anfängt, das zu repräsentieren, was ist, anstatt ein gescheiterter Moment gegenüber dem, was sein sollte, zu sein, ist man frei von Schuld, Anstand und den Anforderungen der Sache.

Die meisten Verkörperungen der vorherrschenden Realität sind revulsiv; doch anstatt diese Realität als eine Entität wahrzunehmen [6], sucht der postapokalyptische Bewohner nach dem, was in ihr nicht völlig tot und verwest ist. In der Postapokalypse kann man eine Enklave der Anomalie, eine Piratenbucht oder ein merkwürdiges Ereignis als Welten für sich genießen, mit eigentümlichen Schwingungen und Schicksalen, anstatt sie auf ein Instrument im globalen Orchester des Kapitalismus oder eine irrelevante Ausnahme zu reduzieren, die bald ausgelöscht wird. Jede Begegnung mit dem Ungewöhnlichen und Abnormalen ist in der Postapokalypse eine Quelle der Faszination und nicht etwas, das an der Norm der „Revolution“, des „Aufstands“ oder was auch immer gemessen und für unzureichend befunden werden muss. Die Kartographie der Postapokalypse hat eher die Form von Konstellationen seltsamer Welten als die eines technischen Handbuchs für die Herbeiführung eines „Systemwandels“ oder einer Chronik des monolithischen Universums des liberalen Kapitalismus.

Ohne die Deadline des drohenden Untergangs oder der Errettung gibt man die anstrengenden Verrenkungen auf, die man unternimmt, um die Brotkrumen der bürgerlichen Welt zu bewahren, selbst wenn diese Verrenkungen im Namen der Gerechtigkeit, der Emanzipation eines anderen („der Unterdrückten, der Ausgebeuteten usw.“) durchgeführt werden. In der Postapokalypse macht niemand mehr Politik im Namen oder zur Rettung eines fernen Anderen. Man handelt für sich selbst und seine Freunde. Niemand leistet Instandhaltungs- und Rettungsarbeit, denn es gibt nichts zu retten oder festzuhalten, nichts Lebendiges mehr in dem, was die Ordnungsliebenden „das Soziale“ nennen. Nur Dinge, die endlich in ihr Grab gelegt werden müssen.

Die Postapokalypse ist eine Praxis des Jetzt, der komplexen Intensitäten, die sich in jeder Windung und jedem Knoten des Augenblicks verbergen. Hoffnungslosigkeit bedeutet, dass es nichts anderes zu tun gibt, als die eigene Realität zu erfinden und zu bauen: die eigenen Räume und Territorien, die eigenen Schlachten, die eigenen Fetische, Kosmologien, Mythologien und Partys, die eigenen Ökosysteme und Ökonomien (einschließlich der des Begehrens).

Wenn die Zeit aus dem starren Schienenstrang der Moderne springt („in Richtung Zukunft!“) und beginnt, sich zu teilen, zu kräuseln und seltsame Arabesken in einer Ebene der immerwährenden Gleichzeitigkeit hervorzubringen, gibt es keinen Moment zu vergeuden; aber es gibt endlich Zeit, anzuhalten, zu überdenken und das, was selbstverständlich schien, neu zu erfinden. In dem Maße, in dem sich der Raum von einer erdrückenden Kabine im Zug auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel loslöst und zu einer endlosen Ebene wird, die sich in alle Richtungen erstreckt, ohne absolute Orientierungspunkte, mit der verblüffenden Beständigkeit wahrer Unordnung [7], ist man frei, sich auf der Suche nach Intensitäten in Richtung vielfältiger Horizonte zu bewegen und die Angst, sich zu verirren, hinter sich zu lassen.

Anmerkungen

[1] Dies ist eine Paraphrase von Lacan, einem berühmten französischen Psychoanalytiker aus dem vergangenen Jahrhundert. Er bezog sich auf etwas, das die Freudsche Psychoanalyse „Kastration“ nennt, den Verlust des Phallus, des Artefakts, das Fülle, Macht und Genuss verleiht (und das man am Anfang nie hatte). Die Psychoanalyse ist eine furchtbare Institution, die oft in den Faschismus übergeht; ich sehe kein Problem darin, ihre verschimmelten Schatullen zu plündern, um etwas Nützliches zu finden.

[2] „Apokalypse“ bedeutet eigentlich „Offenbarung“, gewöhnlich durch göttliche Boten. Der Inhalt der Offenbarung kann alles Mögliche sein. Aber ich bleibe der Bedeutung treu, die die westliche Popkultur dem Begriff „Apokalypse“ gegeben hat, nämlich das „Ende der Welt, wie wir sie kennen“.

[3] Lauren Berlan hat diese Verwendung von „tot“ vorgeschlagen.

[4] Dieser Ursprungsmoment ist selbst ein fantasmatischer; aber ich werde aufhören, die Wendungen dieser tragischen Geschichte der Moderne aufzuzählen, Ihr habt das Wesentliche verstanden.

[5] Die Moderne, der Kolonialismus, der Kapitalismus und der Liberalismus sind nicht dasselbe, aber sie gehören zum selben Kontinuum und teilen intime Beziehungen der Abstammung, der gemeinsamen Elternschaft, der Symbiose, der Verschmelzung und der gegenseitigen Potenzierung. Für die Zwecke dieser Erzählung genügt es zu sagen, dass Kolonialismus, Moderne, Liberalismus und Kapitalismus am Ende zu einem diskursiven und administrativen Ultra-Körper verschmolzen zu sein scheinen, leblos, aber unbezwingbar.

[6] Diese Tendenz, die Wirklichkeit als ein einheitliches Element wahrzunehmen, ist in der geschichtlichen Vorstellung des Liberalismus, der an die Abfolge von „Epochen“ oder „Zeiten“ denkt, ebenso präsent wie in der des Marxismus, der an die Abfolge von „Produktionssystemen“ denkt. In diesem Denken gleicht die „Wirklichkeit“ den Kästchen eines modernen Kalenders, von denen jedes auf das vorhergehende folgt und einen Schritt zum nächsten darstellt, bis hin zum Paradies (utopischer Liberalkapitalismus oder Kommunismus).

[7] In der Moderne ist die „Differenz“ das grundlegende Instrument des Regierens. Wenn es keinen Unterschied gibt, den das regierende Auge wahrnehmen kann, wird es blind, bewegt sich hysterisch, ohne sich an irgendetwas festhalten zu können, und verlangt von seinen offiziellen Kartographen, Namen, Grenzen, Bevölkerungen, Typologien, Kategorien, Identitäten usw. zu schaffen (wie zum Beispiel in den kolonialen/Apartheid-Dispositiven des Regierens ersichtlich).

Übersetzt aus dem englischen Original von Bonustracks im Januar 2024.

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Die Folgen des Bauernkriegs

Friedrich Engels

Mit dem Rückzuge Geismaiers auf venetianisches Gebiet hatte das letzte Nachspiel des Bauernkriegs sein Ende erreicht. Die Bauern waren überall wieder unter die Botmäßigkeit ihrer geistlichen, adligen oder patrizischen Herren gebracht; die Verträge, die hie und da mit ihnen abgeschlossen waren, wurden gebrochen, die bisherigen Lasten wurden vermehrt durch die enormen Brandschatzungen, die die Sieger den Besiegten auferlegten. Der großartigste Revolutionsversuch des deutschen Volks endete mit schmählicher Niederlage und momentan verdoppeltem Druck. 

Auf die Dauer jedoch verschlimmerte sich die Lage der Bauernklasse nicht durch die Unterdrückung des Aufstandes. Was Adel, Fürsten und Pfaffen aus ihnen jahraus, jahrein herausschlagen konnten, das wurde schon vor dem Krieg sicher herausgeschlagen; der deutsche Bauer von damals hatte dies mit dem modernen Proletarier gemein, daß sein Anteil an den Produkten seiner Arbeit sich auf das Minimum von Subsistenzmitteln beschränkte, das zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung der Bauernrace erforderlich war. Im Durchschnitt war also hier nichts mehr zu nehmen. Manche wohlhabenderen Mittelbauern sind freilich ruiniert, eine Menge von Hörigen in die Leibeigenschaft hineingezwungen, ganze Striche Gemeindeländereien konfisziert, eine große Anzahl Bauern durch die Zerstörung ihrer Wohnungen und die Verwüstung ihrer Felder sowie durch die allgemeine Unordnung in die Vagabondage oder unter die Plebejer der Städte geworfen worden. 

Aber Kriege und Verwüstungen gehörten zu den alltäglichen Erscheinungen jener Zeit, und im allgemeinen stand die Bauernklasse eben zu tief für eine dauernde Verschlechterung ihrer Lage durch erhöhte Steuern. Die folgenden Religionskriege und endlich der Dreißigjährige Krieg mit seinen stets wiederholten, massenhaften Verwüstungen und Entvölkerungen haben die Bauern weit schwerer getroffen als der Bauernkrieg; namentlich der Dreißigjährige Krieg vernichtete den bedeutendsten Teil der im Ackerbau angewandten Produktivkräfte und brachte dadurch und durch die gleichzeitige Zerstörung vieler Städte die Bauern, Plebejer und ruinierten Bürger auf lange Zeit bis zum irischen Elend in seiner schlimmsten Form herab.

Wer an den Folgen des Bauernkriegs am meisten litt, war die Geistlichkeit. Ihre Klöster und Stifter waren verbrannt, ihre Kostbarkeiten geplündert, ins Ausland verkauft oder eingeschmolzen, ihre Vorräte waren verzehrt worden. Sie hatte überall am wenigsten Widerstand leisten können, und zu gleicher Zeit war die ganze Wucht des Volkshasses am schwersten auf sie gefallen. Die anderen Stände, Fürsten, Adel und Bürgerschaft, hatten sogar eine geheime Freude an der Not der verhassten Prälaten. Der Bauernkrieg hatte die Säkularisation der geistlichen Güter zugunsten der Bauern populär gemacht, die weltlichen Fürsten und zum Teil die Städte gaben sich daran, diese Säkularisation zu ihrem Besten durchzuführen, und bald waren in protestantischen Ländern die Besitzungen der Prälaten in den Händen der Fürsten oder der Ehrbarkeit. Aber auch die Herrschaft der geistlichen Fürsten war angetastet worden, und die weltlichen Fürsten verstanden es, den Volkshaß nach dieser Seite hin zu exploitieren. So haben wir gesehen, wie der Abt von Fulda vom Lehnsherrn zum Dienstmann Philipps von Hessen degradiert wurde. So zwang die Stadt Kempten den Fürstabt, ihr eine Reihe wertvoller Privilegien, die er in der Stadt besaß, für einen Spottpreis zu verkaufen.

Der Adel hatte ebenfalls bedeutend gelitten. Die meisten seiner Schlösser waren vernichtet, eine Anzahl der angesehensten Geschlechter war ruiniert und konnte nur im Fürstendienst eine Existenz finden. Seine Ohnmacht gegenüber den Bauern war konstatiert; er war überall geschlagen und zur Kapitulation gezwungen worden; nur die Heere der Fürsten hatten ihn gerettet. Er musste mehr und mehr seine Bedeutung als reichsunmittelbarer Stand verlieren und unter die Botmäßigkeit der Fürsten geraten.

Die Städte hatten im ganzen auch keinen Vorteil vom Bauernkrieg. Die Herrschaft der Ehrbarkeit wurde fast überall wieder befestigt; die Opposition der Bürgerschaft blieb für lange Zeit gebrochen. Der alte patrizische Schlendrian schleppte sich so, Handel und Industrie nach allen Seiten hin fesselnd, bis in die französische Revolution fort. Von den Fürsten wurden zudem die Städte verantwortlich gemacht für die momentanen Erfolge, die die bürgerliche oder plebejische Partei in ihrem Schoß während des Kampfes errungen hatte. Städte, die schon früher den Gebieten der Fürsten angehörten, wurden schwer gebrandschatzt, ihrer Privilegien beraubt und schutzlos unter die habgierige Willkür der Fürsten geknechtet (Frankenhausen, Arnstadt, Schmalkalden, Würzburg etc. etc.), Reichsstädte wurden fürstlichen Territorien einverleibt (z.B. Mühlhausen) oder doch in die moralische Abhängigkeit von angrenzenden Fürsten gebracht, wie viele fränkische Reichsstädte.

Wer unter diesen Umständen vom Ausgang des Bauernkriegs allein Vorteil zog, waren die Fürsten. Wir sahen schon gleich im Anfang unserer Darstellung, wie die mangelhafte industrielle, kommerzielle und agrikole Entwicklung Deutschlands alle Zentralisation der Deutschen zur Nation unmöglich machte, wie sie nur eine lokale und provinzielle Zentralisation zuließ und wie daher die Repräsentanten dieser Zentralisation innerhalb der Zersplitterung, die Fürsten, den einzigen Stand bildeten, dem jede Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zugute kommen mußte. Der Entwicklungsgrad des damaligen Deutschlands war so niedrig und zu gleicher Zeit so ungleichförmig in den verschiedenen Provinzen, daß neben den weltlichen Fürstentümern noch geistliche Souveränitäten, städtische Republiken und souveräne Grafen und Barone bestehen konnten; aber sie drängte zu gleicher Zeit, wenn auch sehr langsam und matt, doch immer auf die provinzielle Zentralisation, d.h. auf die Unterordnung der übrigen Reichsstände unter die Fürsten hin. Daher konnten am Ende des Bauernkriegs nur die Fürsten gewonnen haben. So war es auch in der Tat. Sie gewannen nicht nur relativ, dadurch dass ihre Konkurrenten, die Geistlichkeit, der Adel, die Städte, geschwächt wurden; sie gewannen auch absolut, indem sie die spolia opima (Hauptbeute) von allen übrigen Ständen davontrugen. Die geistlichen Güter wurden zu ihrem Besten säkularisiert; ein Teil des Adels, halb oder ganz ruiniert, mußte sich nach und nach unter ihre Oberhoheit geben; die Brandschatzungsgelder der Städte und Bauernschaften flossen in ihren Fiskus, der obendrein durch die Beseitigung so vieler städtischen Privilegien weit freieren Spielraum für seine beliebten Finanzoperationen gewann.

Die Zersplitterung Deutschlands, deren Verschärfung und Konsolidierung das Hauptresultat des Bauernkriegs war, war auch zu gleicher Zeit die Ursache seines Misslingens.

Wir haben gesehen, wie Deutschland zersplittert war, nicht nur in zahllose unabhängige, einander fast total fremde Provinzen, sondern auch wie die Nation in jeder dieser Provinzen in eine vielfache Gliederung von Ständen und Ständefraktionen auseinanderfiel. Außer Fürsten und Pfaffen finden wir Adel und Bauern auf dem Land, Patrizier, Bürger und Plebejer in den Städten, lauter Stände, deren Interessen einander total fremd waren, wenn sie sich nicht durchkreuzten und zuwiderliefen. Über allen diesen komplizierten Interessen, obendrein, noch das des Kaisers und des Papstes. Wir haben gesehen, wie schwerfällig, unvollständig und je nach den Lokalitäten ungleichförmig diese verschiedenen Interessen sich schließlich in drei große Gruppen formierten; wie trotz dieser mühsamen Gruppierung jeder Stand gegen die der nationalen Entwicklung durch die Verhältnisse gegebene Richtung opponierte, seine Bewegung auf eigene Faust machte, dadurch nicht nur mit allen konservativen, sondern auch mit allen übrigen opponierenden Ständen in Kollision geriet und schließlich unterliegen mußte. So der Adel im Aufstand Sickingens, die Bauern im Bauernkrieg, die Bürger in ihrer gesamten zahmen Reformation. So kamen selbst Bauern und Plebejer in den meisten Gegenden Deutschlands nicht zur gemeinsamen Aktion und standen einander im Wege. Wir haben auch gesehn, aus welchen Ursachen diese Zersplitterung des Klassenkampfs und die damit gegebene vollständige Niederlage der revolutionären und halbe Niederlage der bürgerlichen Bewegung hervorging.

Wie die lokale und provinzielle Zersplitterung und die daraus notwendig hervorgehende lokale und provinzielle Borniertheit die ganze Bewegung ruinierte; wie weder die Bürger noch die Bauern, noch die Plebejer zu einem konzentrierten, nationalen Auftreten kamen; wie die Bauern z.B. in jeder Provinz auf eigne Faust agierten, den benachbarten insurgierten Bauern stets die Hülfe verweigerten und daher in einzelnen Gefechten nacheinander von Heeren aufgerieben wurden, die meist nicht dem zehnten Teil der insurgierten Gesamtmasse gleichkamen – das wird wohl aus der vorhergehenden Darstellung jedem klar sein. Die verschiedenen Waffenstillstände und Verträge der einzelnen Haufen mit ihren Gegnern konstituieren ebensoviel Akte des Verrats an der gemeinsamen Sache, und die einzig mögliche Gruppierung der verschiedenen Haufen nicht nach der größeren oder geringeren Gemeinsamkeit ihrer eigenen Aktion, sondern nach der Gemeinsamkeit des speziellen Gegners, dem sie erlagen, ist der schlagendste Beweis für den Grad der Fremdheit der Bauern verschiedener Provinzen gegeneinander.

Auch hier bietet sich die Analogie mit der Bewegung von 1848-50 wieder von selbst dar. Auch 1848 kollidierten die Interessen der oppositionellen Klassen untereinander, handelte jede für sich. Die Bourgeoisie, zu weit entwickelt, um sich den feudal-bürokratischen Absolutismus noch länger gefallen zu lassen, war doch noch nicht mächtig genug, die Ansprüche anderer Klassen den ihrigen sofort unterzuordnen. Das Proletariat, viel zu schwach, um auf ein rasches Überhüpfen der Bourgeoisperiode und auf seine eigene baldige Eroberung der Herrschaft rechnen zu können, hatte schon unter dem Absolutismus die Süßigkeiten des Bourgeoisregiments zu sehr kennengelernt und war überhaupt viel zu entwickelt, um auch nur für einen Moment in der Emanzipation der Bourgeoisie seine eigene Emanzipation zu sehen. Die Masse der Nation, Kleinbürger, Kleinbürgergenossen (Handwerker) und Bauern, wurde von ihrem zunächst noch natürlichen Alliierten, der Bourgeoisie, als schon zu revolutionär, und stellenweise vom Proletariat, als noch nicht avanciert genug, im Stich gelassen; unter sich wieder geteilt, kam auch sie zu nichts und opponierte rechts und links ihren Mitopponenten. Die Lokalborniertheit endlich kann 1525 unter den Bauern nicht größer gewesen sein, als sie unter den sämtlichen in der Bewegung beteiligten Klassen von 1848 war. Die hundert Lokalrevolutionen, die daran sich anknüpfenden hundert ebenso ungehindert durchgeführten Lokalreaktionen, die Aufrechthaltung der Kleinstaaterei etc. etc. sind Beweise, die wahrlich laut genug sprechen. Wer nach den beiden deutschen Revolutionen von 1525 und 1848 und ihren Resultaten noch von Föderativrepublik faseln kann, verdient nirgend anders hin als ins Narrenhaus.

Aber die beiden Revolutionen, die des sechzehnten Jahrhunderts und die von 1848-50, sind trotz aller Analogien doch sehr wesentlich voneinander verschieden. Die Revolution von 1848 beweist, wenn auch nichts für den Fortschritt Deutschlands, doch für den Fortschritt Europas.

Wer profitierte von der Revolution von 1525? Die Fürsten. – Wer profitierte von der Revolution von 1848? Die großen Fürsten, Österreich und Preußen. Hinter den kleinen Fürsten von 1525 standen, sie an sich kettend durch die Steuer, die kleinen Spießbürger, hinter den großen Fürsten von 1850, hinter Österreich und Preußen, sie rasch unterjochend durch die Staatsschuld, stehen die modernen großen Bourgeois. Und hinter den großen Bourgeois stehen die Proletarier.

Die Revolution von 1525 war eine deutsche Lokalangelegenheit. Engländer, Franzosen, Böhmen, Ungarn hatten ihre Bauernkriege schon durchgemacht, als die Deutschen den ihrigen machten. War schon Deutschland zersplittert, so war Europa es noch weit mehr. Die Revolution von 1848 war keine deutsche Lokalangelegenheit, sie war ein einzelnes Stück eines großen europäischen Ereignisses. Ihre treibenden Ursachen, während ihres ganzen Verlaufs, sind nicht auf den engen Raum eines einzelnen Landes, nicht einmal auf den eines Weltteils zusammengedrängt. Ja, die Länder, die der Schauplatz dieser Revolution waren, sind gerade am wenigsten bei ihrer Erzeugung beteiligt. Sie sind mehr oder weniger bewußt- und willenlose Rohstoffe, die umgemodelt werden im Verlauf einer Bewegung, an der jetzt die ganze Welt teilnimmt, einer Bewegung, die uns unter den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen allerdings nur als eine fremde Macht erscheinen kann, obwohl sie schließlich nur unsre eigne Bewegung ist. Die Revolution von 1848 bis 1850 kann daher nicht enden wie die von 1525.

Aus Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg, geschrieben im Sommer 1850. Erstmalig veröffentlicht in: ‘Neue Rheinische Zeitung’. Online hier. 

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1983. Toni Negri, ein Subversiver im Parlament

Jaroslav Novak

Heute, am Tag der Trauerfeier auf dem Père Lachaise, erinnern wir an Toni Negri mit einem Text von Jaroslav Novak, einem Militanten von Potere operaio und einem der Hauptangeklagten des Prozesses vom „7. April“. 

Der Text erzählt unveröffentlichte Details von Toni Negris Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 1983, nachdem er auf der Liste der Radikalen Partei zum Abgeordneten gewählt worden war. (Vorwort Machina) 

* * *

Die Stille war unwirklich und schien fast eine physische Barriere gegen den Lärm und das Geschrei zu bilden, das zweifellos von der großen Gruppe von Faschisten ausging, die sich am Ende der Via Raffaele Majetti versammelt hatten, fast so, als wollten sie uns daran hindern, in diese Richtung zu gehen, aber sie wurden von einem ebenso großen Kordon von Carabinieri in Einsatzkleidung in Schach gehalten.

Auf der anderen Seite, wo die Via Maietti rechtwinklig in die Via Bartolo Longo einmündet, die wiederum in die Via Casal dei Pazzi mündet, die auf der einen Seite in Richtung Rom und auf der anderen Seite auf die Umgehungsstraße führt, verhinderte vom ersten Morgengrauen an ein Großaufgebot von Carabinieri die Annäherung. Ich selbst hatte Schwierigkeiten gehabt, obwohl ich schon seit Tagen eine Sondergenehmigung hatte. Aber als ich in meinem gelben Mini ankam, trauten die Carabinieri, denen ich den Passierschein zeigte, der mich zur Weiterfahrt berechtigte, ihren Augen nicht. Roberto und Sergio hatten sicherlich weniger Probleme, und zwar nicht so sehr wegen des Autos, sondern weil sie ihre Abgeordnetenausweise vorzeigen konnten.

Wir waren in Rebibbia, gleich hinter dem Haupteingang. Auch dort waren viele Carabinieri, aber kein einziges Wort. Die Spannung war sehr groß und wir alle drei waren von einem Gefühl der Nervosität durchdrungen. Sobald Negri den bürokratischen Papierkram erledigt hatte, der ihm aufgrund seiner Wahl zum Abgeordneten der Radikalen Partei die Freiheit bescherte, konnten wir Rebibbia verlassen, die Schlange der Carabinieri in der Via Majetti würde sich öffnen wie das berühmte Wasser des Roten Meeres und dann würde alles gut werden. Das kam uns wie eine Falle vor.

Also beschlossen alle, einen Anruf zu tätigen. Es gab noch keine Mobiltelefone, sondern nur ein bescheidenes Münztelefon. Ich rief die einzige Person an, die ich anrufen konnte, Rossana Rossanda, und erklärte ihr die Situation. Wahrscheinlich setzten sich Sergio Stanzani und Roberto Cicciomessere mit Pannella in Verbindung. Später erfuhr ich, dass Rossana Pertini direkt angerufen hatte. Diese beiden Anrufe müssen etwas bewirkt haben. Kurze Zeit später wurde ich von Manai, dem Kommandanten der Gefängniswärter, kontaktiert. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu Manai gehabt. Er war ein kultivierter Mensch, intelligent, geschickt im Umgang mit schwierigen Situationen und als Kommandant der Wachen des wichtigsten Gefängnisses, das sich zudem in der Hauptstadt befand, sehr aufmerksam für die politische Dynamik. Er war es, der Restivo, den Gefängnisdirektor, davon überzeugt hatte, die berühmte „Delegation von Vertretern der Regenbogenpresse“ zuzulassen, die ich erfunden hatte und in der ich der einzige „politische Gefangene“ war.

Mit mir waren damals der berühmte Salvatore Buzzi, „prima maniera“, mit dem ich befreundet war, der Sohn von Tommaso Buscetta, der offenbar versucht hatte, seinen Vater bei einem Drogendeal zu erledigen (und den die Knastchroniken, von denen ich nicht weiß, wie zuverlässig sie sind, später zur Verstärkung des Betonpfeilers eines Viadukts heranziehen würden), einige Vertreter der berüchtigtsten römischen „Mafia“ jener Zeit, die Familie Proietti und ein Mitglied der “Ndrangheta“, der mich um jeden Preis davon überzeugen wollte, dass er wegen eines Irrtums der Richter im Gefängnis saß, die nicht geglaubt hatten, dass es sich bei den von ihm telefonisch bestellten Krawatten wirklich um Krawatten und nicht um Drogenpakete handelte, wie diese boshaften Richter behaupteten. Und so weiter.

Eines Tages bat ich Manai um ein Gespräch, das er mir gewährte, und ich erklärte ihm kurz und bündig die Situation. Meine Genossen und ich stehen in einem Beziehungsnetz mit einigen kleineren Gruppen, den so genannten „combattenti“ in anderen Gefängnissen, und wir wissen von einigen Situationen mit bedrohten oder militanten Personen, die von den Gruppen, denen sie angehören und für deren Aktivitäten sie im Gefängnis sind, wegkommen wollen. Ich wies sie darauf hin, und sie fanden einen Weg, sie nach Rebibbia zu verlegen, in diesen „homogenen Bereich“, der sich bereits gebildet hatte und zu dem einige gehörten, die sich noch nicht distanziert hatten, sondern ihren eigenen kritischen Weg begannen. So war es.

Nun kam Manai auf mich zu und sagte: „Ich möchte, dass Sie mit jemandem sprechen. Ich musste lachen, denn er hatte den gleichen Satz schon einmal gesagt und mich in ein Zimmer begleitet, in dem Valerio war. Aber das ist eine andere Geschichte. In diesem Fall war es nicht er, sondern Colonel Belmonte, zumindest sagte er, dass er so hieß, ein hohes Tier, zumindest von der Größe her, im Geheimdienst. Sergio und Roberto hatte man ausgespart. Mir ist klar“, sagte er, „dass Sie, und ich nehme an, auch Herr Negri (so nannte er ihn zu Recht), sich Sorgen machen, was auf dem Weg aus Rebibbia passiert. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Seit Tagen läuft eine Kampagne von rechtsextremen Gruppen, die gegen die Wahl Negris zum Abgeordneten sind, und die Situation ist ziemlich heikel. Aber wenn Sie wollen, und Herr Negri ist damit einverstanden, können wir Ihnen jeden Schritt in äußerster Sicherheit garantieren”. Ich stellte mich dumm und verstand nicht, wer vor mir stand und fragte: „Wir wer“? Vielleicht hatte er die Frage nicht erwartet und vielleicht wäre es ihm lieber gewesen, wenn er sie nicht gestellt bekommen hätte, aber er antwortete mir, wenn auch mit halb zugekniffenen Mund: „Geheimdienste“. Ich verstand, dass Rossanda und, ich glaube, auch Pannella sofort gehandelt und die Frage nach unserer Sicherheit gestellt hatten. Ich antwortete also, dass ich persönlich kein Problem hätte, aber natürlich musste Negri seine Zustimmung geben. Es ging darum, eine Art ständige Kontrolle zu akzeptieren. Nach einiger Zeit kam Toni. Obwohl seit meiner Entlassung aus Rebibbia einige Zeit vergangen war, hatten wir immer Kontakt gehalten, vor allem während der Wahlkampfzeit. Mit Pannella und Giovanni Negri und ihrem Überschwang umzugehen, erwies sich als schwierige Aufgabe, und die Gespräche mit ihnen, die ich immer zusammen mit Rossana führte, endeten oft in heftigen Auseinandersetzungen.

Toni war sehr angespannt, zu Recht nervös und emotional erschöpft. Er war kurz davor, entlassen zu werden, wusste aber noch nicht, wie. In der Zwischenzeit hatte ich Roberto und Sergio von dem Gespräch mit ‚Belmonte‘ in Kenntnis gesetzt und mir ihre Sorgen angehört. Das waren auch die meinen, aber wir hatten keine Lösungen. Ich persönlich war in diesem Moment etwas leichtsinnig geworden, ich hatte nichts geplant, ich hatte mir dieses Szenario nicht ausgemalt, ich wusste nur, was unser Ziel war. Ich redete, wir redeten mit Toni. Wir wechselten ein paar Worte, wir waren beide ein wenig benommen. Was in diesem Augenblick ein außerordentlicher Sieg gewesen war, wurde zu einem Moment der Unruhe und der Angst. Die Stille um uns herum war weiterhin ohrenbetäubend.

Ich teilte Belmonte mit, dass wir das Angebot angenommen hatten. Er gab mir eine Telefonnummer, die ich von nun an immer anrufen sollte, wenn Herr Negri seine Wohnung verließ. Wir mussten dann auf eine Bestätigung warten, dass man den Begleitservice organisiert hatte. Das geschah in der Regel nach ein paar Minuten. Ich war erstaunt über ihre Effizienz, sowohl an diesem Abend als auch bei anderen Gelegenheiten, wenn wir längere Fahrten vor uns hatten, wie zum Beispiel nach Neapel. Auf der Autobahn fiel mir mehrmals auf, dass wir während der Fahrt an stehenden Autos vorbeifuhren, die nach unserer Durchfahrt ansprangen. Die Begleitpersonen wechselten sich ab.

Mein gelber Mini blieb bei Rebibbia und wir fuhren mit dem Auto von Sergio und Roberto durch eine von ihnen angegebene Nebenausfahrt in Richtung Via Flaminia, wo Pasquale Squitieri und Claudia Cardinale in ihrer Villa auf uns warteten. Als wir ankamen, ließen uns Roberto und Sergio dort zurück, und Toni wurde endlich locker und machte zur Beruhigung einen großen Purzelbaum auf dem Rasen der Villa. Pasquale hatte einige Zeit mit uns in Rebibbia verbracht, für eine alte, verrückte Geschichte, die viele Jahre zurücklag, und ich hatte ihn für „il manifesto“ interviewt. Kurz darauf hatte mich Manai gewarnt, dass eine Operation im Gange war, um ihn heimlich für eine Boulevardzeitschrift zu fotografieren. Ich warnte Pasquale, es gelang uns, diese Aktion zu verhindern, und von da an wurden wir Freunde. Als wir bei seinem Haus ankamen, und das passierte mir jedes Mal, bekam ich einen Kloß im Hals, sobald Claudia mit ihrer verrückten, sinnlichen Stimme sagte: „Hallo Jaro, wie geht es dir?” Nach einer Weile läuteten sie am Tor. Es war der Begleitservicewagen, der uns eskortiert hatte (wir hatten nichts bemerkt) und sich vergewisserte, dass alles in Ordnung war. Die Emotionen an diesem Abend kochten hoch. Toni war endlich frei. Die Zukunft ist, wie wir alle wissen, vollkommen ungeschrieben.

Als Toni dann beschloss, nach Frankreich zu gehen, in der Gewissheit, dass das Parlament sich für seine erneute Inhaftierung entscheiden würde, tauchte das Problem der Eskorte auf. Toni bat Scalfaro, den damaligen Innenminister, um ein Gespräch, um die Aufhebung der Eskorte zu beantragen, da er kein Problem mehr für seine Sicherheit sehen würde.

Scalfaro, als alter christdemokratischer Klugscheißer, ließ sich das nicht zweimal sagen. Die Vorstellung davon, was die Rückkehr Negris ins Gefängnis aus politischer Sicht bedeutet hätte, und die Proteste, die es gegeben hätte, mit wahrscheinlichen Zwischenfällen auf der Straße, veranlassten ihn, die Aufhebung der Eskorte sofort zu bewilligen, wohlwissend, dass Toni, wie er vermutet hatte, ins Ausland fliehen würde.

Jaroslav Novak, 26. Dezember 2023

Jaroslav Novak war ein Militanter von Potere operaio. Er war einer der Hauptangeklagten im Prozess bezüglich des ‘7. April’ und saß 2 Jahre und 9 Monate im Gefängnis, bevor er freigesprochen wurde.

Dieser Text erschien am 3. Januar 2024 auf Machina und wurde von Bonustracks in Deutsche übertragen. 

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Toni is A Punkrocker

Giorgio Moroni

Januar 1999. Toni wohnt nicht weit vom Ghetto entfernt, in der Nähe der Tiberinsel. Die Wohnung erstreckt sich über zwei Etagen, inmitten eines Labyrinths von Gängen, Innentreppen und blumengeschmückten Hohlräumen. Ich sitze und warte. Am Abend kehrt er ins Gefängnis zurück und verbringt die Nacht in seiner Zelle, um mit seinen Genossen zu reden. Am Nachmittag ist er oft schläfrig und schlummert. Ich schaue mir die Bücher und Akten in den Regalen an. Ich folge gedanklich Pfaden, die mir vertraut sind. Irgendwo entdecke ich eine alte, ausgefranste Ausgabe der Quaderni Rossi.

Ich denke an die elektrisierenden Vorträge in Genua, im Sitz von Potere Operaio in der Via Rayper in Sampierdarena, nicht weit von dem Haus in der Via Paolo Reti entfernt, in dem Gianfranco Faina ihn während seiner Genueser Episoden beherbergte, zur Zeit der Intervention der Arbeiter in den Fabriken. Und dann an Balbi, das letzte Mal, als Lenin durch seine Lektüre aktuell erschien: die Zeit der Fabrik der Strategie. Und noch einmal: dieser Text, Die kapitalistische Theorie des Staates im Jahr ’29: John M. Keynes, den ich bestimmt mehr als zehn Mal gelesen habe, wenn man von der überraschenden und plastischen Eröffnungspassage absieht: „Paradoxerweise wird das Kapital marxistisch oder lernt zumindest, Das Kapital zu lesen: natürlich von seinem Standpunkt aus. Was, wenn es mystifiziert wird, deshalb nicht weniger wirksam ist.“

Am Rande des ersten Seminars der Autonomia operaia, im August 1973 in Padua, besuchte ich die Feier zu seinem vierzigsten Geburtstag im Mondo de qua, einer Pizzeria zwischen den Flüssen Brenta und Bacchiglione; es war eine Erinnerung an weiße Polenta und Rippchen auf dem Grill, während hinter dem dichten Rauch die strahlenden Gesichter von Emilio Vesce, Toni Liverani, Renzo Ferrari, Gianfranco Pancino und Giorgio Ferrari erschienen.

Einige Zeit später trafen wir uns in Genua wieder, zusammen mit Gianfranco Faina und anderen Genossen, in einer Pizzeria auf der Piazza Barabino, natürlich in Sampierdarena; unter dem Vorwand der besetzten Balbi Rossa hatte ich dieses Bankett mit dem naiven und unmöglichen Ziel organisiert, die Wiederannäherung zweier glühender Intelligenzen zu versuchen; und auch, um zu verstehen, inwieweit die Seelen, die mich bei der Lektüre von Classe Operaia fasziniert hatten, sich als ganz anders erwiesen. Als Stefania und ich ihn 1975 in Mailand besuchten und bei ihm und Paola einen Teller Risi e Bisi aßen, erkannte ich mich nicht mehr in der hegemonialen Idee der Autonomia, die Toni damals vertrat. An diesem Tag war ich enttäuscht und wütend, nachdem ich bemerkt hatte, dass er meine offenen Beschwerden höflich ignorierte und durch einige seiner Fragen verblüfft war („aber weißt du, dass Oreste und Gianfranco jetzt zusammenarbeiten?“; nein, das wusste ich nicht, und es interessierte mich auch nicht), und ich verglich sein Verhalten mit den lockeren und unangemessenen Praktiken meines Nachbarn Giuseppe Mazzini (ich wohnte gegenüber dem Geburtshaus des Philosophen und Patrioten).

Aber dann stand ich 1976 auf der Straße in Padua, wo ich für einen Soldatensender in der Pierobon-Kaserne tätig war, und hielt an, um ihm vor dem Feltrinelli zuzuhören, wo neue Exemplare von Il Dominio e il Sabotaggio auslagen. Ich habe immer noch die Bücher zu Hause, die ich in jenem Jahr in Politikwissenschaft mitgenommen habe: Rosdolsky, Rosenberg. Damals war die Fakultät eine offene Stadt.

Bald darauf traf ich ihn wieder häufiger in der Via Disciplini in Mailand. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Gespräche immer diskreter, wir sprachen nur noch in Bars, außerhalb der eigenen Räumlichkeiten.

Und schließlich 1977, das Jahr des Wendepunkts, mit Bifo in Guattaris Pariser Haus.

Und dann bin ich in Montecatini, im Bauernhaus von Gianni Giovannelli, nach dem 7. April und dem 17. Mai jenes schrecklichen Jahres, nach seiner Verhaftung und seiner Wahl ins Parlament, mit unseren kleinen Kindern, für die er sich so sehr begeisterte, dass er sie im Tagebuch eines Flüchtigen zitierte.

Und schließlich bin ich in Paris, das erste Mal, nachdem ihm der Pass zurückgegeben wurde, vielleicht 1994, mit Sandro Mezzadra und Agostino Petrillo.

Er kommt hustend und schnaufend an. Er beruhigt mich sofort: Es geht ihm gut, er hat sich in Padua untersuchen lassen, und das hat es bestätigt. Wie immer fällt seine nervöse und immerwährende Vitalität auf. Er ist neugierig, er hört gerne zu. Er hat die Gabe eines lebhaften, beweglichen Kopfes, wie der eines prächtigen imaginären Tieres, und eine durchdringende, frische Stimme. Der Rest ist eine aufsaugende, nervöse Anstrengung, die mühsame Eroberung dessen, was wesentlich und erhellend ist, um es zu lesen und darüber hinaus zu gehen; die Ermüdung des Denkens, ausgestellt und mit Anweisungen versehen.

Ich ertappe mich dabei, wie ich aus meinem Untergrund, der Hölle der geistigen Warenproduktion, zu ihm spreche. Ich trage Notarkleidung, die letzte meiner Arbeitskleidung. Ich bin ein Trans-Broker. Ein Selbstausbeuter voller unkontrollierbarer Ressourcen. Er zündet seine erste Zigarette an und wir beginnen. Ich bin derjenige, der reden muss, er weiß nicht mehr, wie dieses Land ist, er braucht viele Zeugnisse, so sagt er mir. Ich rauche ein paar seiner Zigaretten, ich sage ihm, dass ich kurzfristig wenig Hoffnung habe, die regierende politische Klasse ist zu schurkisch und staatsgläubig, Konflikte werden seit Jahren bürokratisch umgangen, die Linke ist die eigentliche konservative Kraft in diesem Land, Kritik wird gesellschaftlich monetarisiert, der Staat finanziert den sozialen Stillstand bis zum Exzess. Es gibt keine mögliche Opposition, Italien ist das Land, in dem unsere Körper am besten leben können, unsere Seelen aber am schlechtesten.

Ja, Italien ist das beste Land zum Leben, sagt Toni, aber bevor wir verstehen können, warum wir unsere Seelen oder unsere Hirne korrumpieren, da wir – er sieht mich lächelnd an – da wir Materialisten sind, müssen wir wissen, woher all dieser Reichtum kommt, wie er produziert wird und wie er verteilt wird. Nun, die Antwort ist natürlich der Staat, und jetzt auch das Enalotto, fügt er hinzu, und ich lache mit ihm. Es ist sowieso Zeit für eine neue Untersuchung, fährt er fort. Es ist nutzlos und schädlich, sich damit zu begnügen, dass unsere Erfahrung – hier schlägt es einem den Boden unter den Füßen weg wie damals auf dem Bürgersteig der Via Boccaccio in Mailand -, unsere Erfahrung, das kritische Denken, zu dem wir fähig waren, es geschafft hat, ins Schwarze zu treffen und das neue Produktionsparadigma zu umreißen. Die Reihenfolge des Denkens muss umgedreht werden. Heute geht es darum, die Kämpfe der Reinigungskräfte, Kellner und der Fahrradkuriere zu organisieren. Unser Bezugspunkt müssen die Klassenkämpfe in Frankreich in den 1990er Jahren sein.

Wie gesagt: Ich glaube nicht, dass die Kämpfe dieser Figuren viel mit dem zu tun haben, was wir tun können, wir müssen an den Bedingungen für die Entwicklung eines neuen kritischen Denkens arbeiten. Es ist ein neuer und provokanter Kampf der Ideen, den wir führen müssen, und es ist egal, ob die Themen weitgehend mit denen übereinstimmen, für die wir gekämpft haben, solange es keine Selbstgefälligkeit gibt. Es ist die Kritik der Arbeit und des Staates, die wir wieder aufnehmen müssen, jetzt, da alle – von den Arbeitslosen über die Arbeiter bis hin zu Rifondazione all’Ulivo und Alleanza Nazionale – die gleichen Codes, die gleichen geistigen Kategorien, die gleichen geistigen Paradigmen verwenden, ob es nun darum geht, für Arbeitsplätze zu kämpfen oder so vielen Menschen wie möglich einen Arbeitsplatz zu verschaffen.

Kämpfe sind alles, sagt er mir, mach nicht den Fehler, sie zu unterschätzen, sie sind unsere Methode. Wir trinken ein Schnäpschen. Zahlreiche Telefonanrufe gehen ein. Sie werden alle von seinem Begleiter beantwortet. Wenn es um Journalisten geht, wird jede Möglichkeit einer Stellungnahme rundweg abgelehnt. Ich frage ihn nach seiner Arbeit in der Halbfreiheit. Dann erzähle ich ihm schließlich alte Geschichten. Wir sprechen über Gianfranco Faina und auch über Giuliano Naria („ich schätze ihn sehr, aber in Trani war er ein Arschloch, weil er sich auf ihre Seite gestellt hat“). „Bleib in Kontakt mit Sandro, er ist oft hier, er wird es dir sagen“. Wir umarmen uns innig.

Als wir 2017 in Genua als Archimovi (Associazione per un Archivio dei movimenti, d.Ü.) die Ausstellung über die Achtundsechziger Jahre organisierten, war Toni trotz seines prekären Gesundheitszustands erstaunlich und großartig. Er kam allein mit dem Zug aus Paris und besuchte die Ausstellung. Dann machte er ein paar Stunden Pause im Hotel, um an etwas zu arbeiten, das er gerade schrieb. Am späten Nachmittag nahm er an einer Gesprächsrunde mit Guido Viale und Luciana Castellina teil. Damit nicht genug, bat er darum, bei einem Treffen mit Jugendlichen und Genossen der CSO Zapata sprechen zu dürfen, was ihm mehr Spaß machte als die offizielle Veranstaltung kurz zuvor. Er blieb lange, nahm jede Frage an und schätzte sie in seinen Antworten, mit dem offensichtlichen Ziel, die Gewissen aufzurütteln und sie zum Handeln aufzufordern, versteckt hinter der Decke seiner eigenen Neugier… eingewickelt in seinen Mantel, fest umhüllt von seinem Schal.

Ein Mensch, ein unvergesslicher Genosse. Bewegend, beispielhaft, unwiderstehlich. Revolutionäres Denken kann nicht enden, weil es immer wieder neu beginnt.

Veröffentlicht am 28. Dezember 2023 auf Effimera, ins Deutsche übertragen von Bonustracks. 

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