Im Schatten von Krieg und Unterdrückung: Eine Botschaft aus dem Ghartschak-Gefängnis (Iran)

Golrokh Iraee, Reihaneh Ansari und Verisheh Moradi 


Wir glauben nicht, dass unser heutiges Leiden größer ist als das, was dem iranischen Volk auferlegt wurde. Am Montag, den 23. Juni, während über dreitausend Menschen hinter verschlossenen Türen in verschiedenen Abteilungen des Evin-Gefängnisses eingesperrt waren, schlugen israelische Raketen auf dem Gefängnisgelände und seine Gebäude ein. Abgesehen von den Opfern gibt es noch immer keine Nachrichten über einige Häftlinge, die in Einzelhaft gehalten werden. Am Dienstagmorgen wurden Frauen aus dem Evin-Gefängnis unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in die Gefängnisse Ghartschak und Varamin verlegt, und etwa dreitausend Männer aus dem Evin-Gefängnis wurden ebenfalls verlegt und in das Fashafuyeh-Gefängnis gebracht. Obwohl wir uns unter schlechteren Bedingungen befinden als vor unserer Verlegung, erklären wir gemeinsam mit unseren Genossen und Brüdern im  Fashafuyeh-Gefängnis, die zur gleichen Zeit wie wir angegriffen und unter Druck gesetzt wurden, dass die derzeitige Situation unseren Kampf nicht verhindern wird. Denn wir wissen, dass dieser Weg nie frei von Entbehrungen gewesen ist.

Seit der ‘Verfassungsrevolution’ bis heute, trotz zahlreicher Kriege, volksfeindlicher Putsche, der Massaker an wehrlosen Menschen und politischen Dissidenten durch autoritäre Regime im vergangenen Jahrhundert und der vielen Höhen und Tiefen, von denen die Geschichte zeugt, geht der Weg des Kampfes weiter. Heute befinden wir uns im Ghartschak-Gefängnis und sind mit Bedingungen konfrontiert, die mehr als tausend Frauen mit verschiedenen Anklagen seit Jahren ertragen und durchleben müssen. Es sind Frauen vom Rande der Gesellschaft, denen das Leid in die Augen geschrieben steht und die Zeugnis ablegen von den Kreisläufen der Ungerechtigkeit, für deren Durchbrechung wir uns eingesetzt haben. Sie sind die Schiffbrüchigen am Rande der Gesellschaft, die keinen Platz in der Gleichung des Lebens haben, die in den Nachrichten und Medien nicht vorkommen und in den Menschenrechtsberichten nicht erwähnt werden. Ihre Namen, ihre Geschichten und ihr Schmerz bleiben ungesehen und ungehört.

Was uns in den letzten Tagen in Erstaunen versetzt hat, ist die Wahrheit über das Leben dieser Frauen. Frauen, die sich über kurze Betten von der Länge eines Grabes beugen und sich nach einfachen Lebens- und Hygienemöglichkeiten sehnen. Inmitten dreckiger, verkrusteter Wände, die den Schmutz jahrelanger Entbehrungen tragen, bieten sich viele von ihnen, ohne einen einzigen Rial in der Tasche, ihren Zellengenossen an, nur um Geld für Zigaretten zu bekommen. Zur Ausbeutung. Zur sexuellen Ausbeutung. Und sie unterwerfen sich jeder Form der Erniedrigung. Um ihre Mägen zu füllen. Und um das Minimum von dem zu bekommen, wonach sie sich gesehnt haben. Sie sind in der Arbeitssektion des Gefängnisses eingesetzt und arbeiten täglich unermüdlich (vom Tragen von Lebensmitteln und Müll bis zum Reinigen der Ruhebereiche und dem Umgang mit den Gefängniswärtern), ohne einen Lohn zu erhalten, nur um ein paar Minuten mehr zu telefonieren. In der Gefängniswerkstatt sind sie mit Nähen und Sticken beschäftigt, um am Ende des Tages eine Schachtel Zigaretten zu bekommen. Das sind die Frauen, von denen wir als politische Gefangene normalerweise getrennt sind, es sei denn, die Behörden bringen uns zur Strafe oder zur Verbannung absichtlich zusammen. Und obwohl wir jetzt im  Ghartschak-Gefängnis getrennt von ihnen untergebracht sind, ist unser Unglück nicht von dem ihren zu trennen.

An der Seite der unermüdlichen Kämpfe des Volkes gegen die Diktatur, mit eindeutigen Zielen und einer entschiedenen Handlungsweise, werden wir den Weg des Widerstands bis zum Sturz und zur Beseitigung aller Formen der Tyrannei weitergehen. Und an der Seite dieser Vergessenen, die aus dem Kreislauf des Lebens verstoßen wurden, erneuern wir unseren Widerstand mit größerer Entschlossenheit als zuvor. Und denen, die ihre Stimme für uns und unsere schwierige Lage erheben, sagen wir mit noch lauterer Stimme: Was uns heute auferlegt wurde, ist nicht größer als das jahrelange Leid, das diese Frauen ertragen mussten. Streben Sie also danach, die Bedingungen für „uns“ (alle, d.Ü.) zu verbessern, unabhängig von den gegen uns erhobenen Anschuldigungen, und verbessern Sie die Bedingungen für „uns“ (alle), die in die Gefängniskomplexe von Ghartschak und Fashafuyeh verlegt wurden, unabhängig von unserem Geschlecht.

Golrokh Iraee, Reihaneh Ansari und Verisheh Moradi aus dem Ghartschak-Gefängnis: Der Kampf geht weiter

Juni 2025
Übersetzt von Bonustracks aus der englischsprachigen Version, die vom Slinger Kollektiv veröffentlicht wurde.

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