10. September: Was auf dem Spiel steht

Anonym

Kürzlich fand in Paris eine vorbereitende Vollversammlung für den 10. September statt. Rückblick auf einen ersten Versuch der Vereinnahmung und auf die Notwendigkeit, die Linke in Schach zu halten.

Das Abhalten von Versammlungen

Am 28. Juli fand in Paris eine Vollversammlung statt, um die Mobilisierung für den 10. September zu organisieren. Weitere Versammlungen werden folgen, mit dem Ziel, die Wut der Hauptstadt, ihrer Vororte und ihrer Peripherie zu bündeln.

Es dauerte nicht lange, bis professionelle Aktivisten (einige Mitglieder von France Insoumise, andere aus der Universität, andere, die man nicht kennt, aber alles war in den Reden und in der Haltung zu spüren) die Kontrolle übernahmen und den Ausarbeitungsprozess verlangsamten, an dem etwa siebzig Personen beteiligt waren. Die Diskussion, die sich eigentlich darum drehen sollte, was uns zusammenbrachte und was wir am 10. September und im Vorfeld dieses Datums tun wollten, wurde durch politische und formalistische Überlegungen gestört: eine endlose Liste von Unterdrückungen und „-ismen”, zu denen man sich äußern musste, Modalitäten der Wortverteilung, Aufteilung der Versammlung in mehrere Untergruppen, (Selbst-)Ernennung von Protokollführern, die für Ordnung in den Vorschlägen sorgen sollten (auch wenn das bedeutete, dass sie nur das notierten, was ihnen gefiel, und alles andere, was ihnen irrelevant erschien, wegließen), Vorschlag, Vertreter zu benennen, die mit den Medien sprechen sollten, usw.

Auch wenn die Menschen insgesamt wenig empfänglich für die Forderungen der politischen Aktivisten waren, gelang es diesen dennoch, den von ihnen angestrebten Platz einzunehmen und ihre Agenda, ihre Parolen und ihre politische Konzeption voranzutreiben. Ihr Anspruch, den „technischen” Aspekt der Vollversammlung zu beherrschen, diente ihnen einmal mehr dazu, die kollektive Organisation zu neutralisieren und zu verhindern, dass über die einzige Frage entschieden wurde, die wirklich wichtig war: Wie können wir dazu beitragen, dass der 10. September zu einem echten Ereignis wird und nicht nur zu einem weiteren Reinfall? Das ist nicht einmal Böswilligkeit ihrerseits, sondern einfach eine zwanghafte Neurose: Diese Leute wissen nicht mehr, wie sie ihr Gefühl der Ohnmacht anders betäuben können, als indem sie Listen mit schlechten Dingen (Duplomb-Gesetz, Faschismus, Rassismus) und guten Dingen (Ökologie, Palästina, Feminismus) erstellen. Wir sind jedoch kein Parteitag, und unsere Aufgabe sollte sich nicht darauf beschränken, endlose Flugblätter zu verfassen.

Zweifellos wird sich diese Situation in Zukunft wiederholen, insbesondere in den Großstädten. Wir müssen uns diesen politischen Manövern und Versuchen der Vereinnahmung widersetzen, sonst wird die Bewegung, die wir aufbauen wollen, sich letztendlich erschöpfen, indem sie die Mobilisierungen der Gewerkschaften und die Demonstrationen der Parteien „verstärkt”. Es ist Aufgabe der Linken, auf uns zuzukommen und ihren Willen zu beweisen, wirklich etwas zu verändern, indem sie mit ihren alten Methoden bricht, und nicht umgekehrt.

Überwindung der Misserfolge

Die linken Parteien hatten ihre Chance, etwas zu verändern. Sie haben versagt. Ihr Sieg bei den Parlamentswahlen 2024 war fruchtlos: Sie waren in der Frage des Premierministers blockiert, konnten ihre zahlenmäßige Stärke in der Nationalversammlung nicht nutzen, und ihre Scheinunion zerbrach bei der ersten Welle, ohne dass sie auch nur ein Wort ihres ohnehin wenig ambitionierten Programms umgesetzt hatten. Trotz der Kritik an der Regierung von Michel Barnier und der Agitation einiger Abgeordneter stellt das Experiment der Vereinigung der Linken in der Neuen Volksfront einen herben Rückschlag dar, den man zur Kenntnis nehmen muss, um voranzukommen.

Die Gewerkschaften hatten ihrerseits eine echte Chance, das Kräfteverhältnis umzukehren und die Regierung im Zuge der Rentenreform zum Einlenken zu bewegen. Mit 90 % der Erwerbstätigen und 70 % der Bevölkerung, die gegen die Reform waren, Millionen von Menschen auf den Straßen und einer wachsenden Kampfbereitschaft in den mittelgroßen Städten, Versammlungen von Streikenden mit Forderungen und offensiven Aktionskomitees, Straßenblockaden und Mautbefreiungsaktionen waren alle Voraussetzungen für den Kampf gegen Macron gegeben, auf den alle gehofft hatten. Aber die Intersyndicale hat diese enorme Energie, die ihr zur Verfügung stand, schlecht gemanagt. Indem sie Kompromisse suchte, wo es keine geben konnte, die Termine der Mobilisierungen auseinanderzog und eine moderate Haltung einnahm, zog sie es vor, der Regierung zu beweisen, dass sie ein ernstzunehmender und legitimer Gesprächspartner war, anstatt sich auf die Seite der Wut zu stellen, die brodelte und die Machthaber zunehmend erschreckte.

Letztendlich hat die Bewegung gegen die Rentenreform auf Konfrontation gesetzt, aber das war nur Show, nur Inszenierung. Die eigentliche Auseinandersetzung begann zu Beginn des Sommers – als die Bewegung zurückwich und sich geschlagen gab – mit dem Aufstand nach der Ermordung von Nahel durch die Polizei. Nachdem dieser von einem gigantischen Polizeiaufgebot niedergeschlagen worden war, normalisierte sich die Lage wieder, bis zur Auflösung (des Parlaments) und dem „Sieg” der NFP, der jedoch keine wirklichen Auswirkungen hatte: Normalerweise, wenn die Linke eine Wahl gewinnt, geht das „linke Volk” auf die Straße, streikt, besetzt Plätze und Unternehmen, um den Wahlsieg zu unterstützen und die Herrschenden zu Verhandlungen und Zugeständnissen zu zwingen. 2024 wie auch 1981 jubelte dieses „linke Volk”, tanzte eine Nacht lang und kehrte dann zur Arbeit zurück, ohne seine Wahlentscheidung in konkrete Taten umzusetzen.

Eine sich ihrer selbst bewusste Kraft schaffen

Das ist offensichtlich nicht das Ziel der linken Parteien, die nur dank der vagen Erinnerung an ihre frühere Macht überleben.

Die wahre Unreife liegt nicht beim Volk, das politische Machenschaften ablehnt, sondern bei den Vertretern, den karriereorientierten Politikern und den eingefleischten Aktivisten, die dies ernst nehmen; all diesen Menschen, die noch immer an das Wahlwunder glauben, das nicht eintreten wird, und die hoffen, dass wir all unsere Kräfte auf dieses Wunder setzen, ohne etwas dahinter aufzubauen. Sie liegt auch auf der Seite der Gewerkschafter, die eine von ihnen selbst beschlossene Niederlage einem unkontrollierbaren Sieg vorziehen, die sich zu Ordnungshütern gegen das Chaos der Aufständischen machen, um ihre Rolle als offizielle Verteidiger eines mittlerweile verkümmerten und korporatistischen Proletariats besser bewahren zu können. All diese Menschen halten sich für klug genug, um mit der Macht zu verhandeln, und lassen sich jedes Mal von ihr manipulieren.

Der Aufruf zum 10. September ist eine Folge dieser Misserfolge und der damit verbundenen Enttäuschungen. Er offenbart einen diffusen, gemeinsamen Willen, aus der Lethargie auszubrechen. Sieben Jahre nach den Gelbwesten erklären sich Zehntausende bereit, auf die Straße zu gehen, um zu kämpfen. Wir müssen ihnen folgen und es ihnen gleichtun: uns treffen, unsere Frustrationen und Bestrebungen in Worte fassen, uns organisieren, um Plätze zu besetzen und Straßen zu blockieren, Vermittlungen und Sprecher ablehnen, uns weigern zu zahlen und uns bedienen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, über die abgedroschenen Slogans der Linken und die Logik der Vereinnahmung und Integration in die traditionelle Politik hinausgehen.

Wenn die Menschen die Politik, wie sie existiert, massiv ablehnen, dann weder aus Zynismus noch aus Unreife: Sie haben verstanden, dass diese Politik sie von Entscheidungen ausschließt, die sie direkt betreffen, und sie streben danach, eine andere politische Gemeinschaft aufzubauen und andere Spielregeln zu erfinden, von sich aus und für sich selbst. Je stärker dieser Trend zur direkten Demokratie innerhalb und gegen die repräsentative Demokratie wird, desto größer sind die Chancen, dieses System der Ausbeutung und Herrschaft zu stürzen. Alles andere ist nur heiße Luft.

Und damit diese Versprechen wahr werden, muss man, anstatt Pläne zu schmieden und Slogans zu entwickeln, dafür sorgen, dass es am 10. richtig kracht, dass das Land maximal lahmgelegt wird. Die politischen Diskussionen werden innerhalb der Masse der Menschen stattfinden, die sich versammeln und gemeinsam handeln werden. Die Forderungen werden ganz natürlich entstehen und sich von selbst verfeinern, ohne dass es professioneller Aktivisten bedarf. Wichtig ist, dass alle den Wunsch verspüren, weiterhin auf die Straße zu gehen. Dazu braucht es einen starken 10. September, der die Fernsehstudios ebenso zum Stottern bringt wie den Élysée-Palast und die Gewerkschaft CGT, der sich der Kontrolle der gewählten Vertreter aller Lager entzieht und an dem sich die faschistischen Aktivisten die Zähne ausbeißen, wie bei den Gelbwesten.

Der Herbst wird heiß oder gar nicht 

Anmerkung. Dieser Artikel wurde am 31. Juli geschrieben. Für eine ausführlichere Analyse der Hypothese vom 10. September siehe:https://lundi.am/Le-10-septembre-aura-t-il-lieu (deutsch, d.Ü.: https://bonustracks2.noblogs.org/post/2025/08/10/wird-es-am-10-september-passieren/)


Veröffentlicht am 13. August 2025 auf Paris Luttes Info, ins Deutsche übersetzt von Bonustracks.

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