
Louisa Yousfi
Dieser Text wurde von Louisa Yousfi ursprünglich im August dieses Jahres auf ihrem Instagram Account veröffentlicht, da er aber einen Nerv getroffen hat, mittlerweile auf mehreren linksradikalen Websites in Frankreich geteilt. Louisa Yousfi veröffentlichte das Buch ‘Reste Barbare’, das in Frankreich breite Beachtung fand und von dem es heißt, es gäbe auch schon einen deutschen Verlag. Auf Bonustracks erschienen mehrere Übersetzungen, vor allem aus Italien, die sich auf ‘Reste Barbare’ bezogen, außerdem ein Textauszug aus ‘Reste Barbare’ sowie weitere Texte von ihr. Sie finden sich hier.
Bonustracks
Gestern stieß ich auf den Titel eines Podcasts mit der Frage: Welcher Kampf tut uns am meisten gut?
Wenn ich mir eines Tages die Frage nach meinem Engagement in diesen Worten stellen würde – macht mich der dekoloniale Kampf glücklicher, baut er Stress ab, mildert er meine Verhaltensstörungen, hält er toxische Beziehungen fern und verschafft er mir dadurch möglicherweise einen besseren Schlaf, ein besseres Aussehen und seidigere Haare? – würde ich von meinen Genossen feierlich verlangen, mich sofort zu einzuschläfern.
Es ist unnötig, hier die Werke zu erwähnen, die bereits zeigen, wie sehr „psychische Gesundheit” dazu neigt, das neue neoliberale Mantra zu werden, das als Kundenservice für soziale Kämpfe in der Rezession dient – das deprimiert mich.
Ich stelle nur folgende Überlegung an: Je mehr die Welt um uns herum in Flammen steht, Krieg, Völkermord, Deportationen, desto mehr fürchten wir hier, genau dort, wo Menschenleben dieser Realität am wenigsten ausgesetzt sind, unsere kleinen Personen, als wären sie so zerbrechlich wie Kristall, als wäre der kleinste Riss eine persönliche Katastrophe, als müsste man auf die kleinste wahrgenommene Schwingung achten und sie in einem sicheren und watteweichen Raum sehr, sehr ernst nehmen.
Ich verstehe sehr wohl, dass man, um sich um andere zu kümmern, zunächst bei sich selbst anfangen muss – eine Sicherheitsanweisung, die in Flugzeugen gegeben wird – aber in der Politik führt dies leider oft nur zu einer Retter-Haltung, die vor allem bei der Stufe der Selbstfürsorge stehen bleibt, während wir im Gegenteil all unsere Anstrengungen darauf konzentrieren sollten, uns vorzubereiten – uns mental, physisch, moralisch, strategisch zu trainieren – auf die schlimmste Niederlage, den frontalsten Krieg, das Opfer, die Selbstlosigkeit, die Selbstvergessenheit, den Glauben.
Das ist es, woran es uns hier im Westen schmerzlich mangelt. Die Kämpfe tun uns keinen gut, wenn sie uns nicht als Individuum von unserer kleinen insularen und befestigten Souveränität entthronen.
Sie verstricken uns nur tiefer in den kristallklaren Morast des geschützten, abgeschirmten, verwundbaren Lebens, das sich so von all dem freispricht, was diese erlaubte Verletzlichkeit den Rest der Welt gekostet hat.
Publiziert am 15. November 2025 auf expansive.info, ins Deutsche übertragen von Bonustracks.