
E. Minassian
Ein wenig Hintergrund
2009 lebte ich drei Monate lang im Stadtteil Tadamon, einem Vorort von Damaskus. Ich wohnte bei einem jungen Kurden, der sowohl das syrische Regime als auch die PKK wegen ihrer Verbandelung hasste. Mit einem wertlosen Abschluss in der Tasche träumte er davon, nach Europa zu gehen. Ich verbrachte meine Tage im Stadtteil/Lager Yarmouk, das an Tadamon grenzt, wo ich mit einer kleinen, sich ständig verändernden Gruppe junger Palästinenser aus dem Lager zusammen war: Sie stammten aus Arbeiterfamilien mit wenig religiösem Hintergrund, waren politisiert, weltoffen, rauchten Haschisch, flirteten mit ausländischen Mädchen (oft englischsprachigen), waren pleite, wollten Künstler werden und versuchten alle, dem Militärdienst zu entgehen.
Tadamon war ein „informelles” Viertel: Während einige Gebäude Eigentumsurkunden hatten, waren 90 Prozent ohne Genehmigung gebaut worden. Die Bevölkerung bestand aus Arbeitern, die aus der Agrarregion Ghouta rund um Damaskus gekommen waren, ehemaligen Bauern, die sich ein oder zwei Generationen zuvor der industriellen Reservearmee der Großstadt angeschlossen hatten. Offiziellen Statistiken zufolge hatte Tadamon 80.000 Einwohner, weniger offizielle Quellen sprachen jedoch von 200.000 Menschen.
In diesem Vorort war die Kontrolle durch das Regime weniger sichtbar – eine „Peripherie“, wie Soziologen es nennen, die stets darauf bedacht war, sich auf der richtigen Seite der Grenze zu bewegen. Im Jahr 2011 begannen sich Gruppen zu bilden. Sie bewaffneten sich nach und nach, und das Viertel entzog sich vollständig der Kontrolle der Sicherheitskräfte. Bis 2012 war die Hälfte von Tadamon in den Händen der Aufständischen. Im Jahr 2013 kam es zu einem schrecklichen Massaker: 280 Zivilisten wurden vom Militärgeheimdienst entführt und hingerichtet, ihre Leichen in Massengräbern verbrannt. Dies war nur die Spitze des Eisbergs von Entführungen, Morden, Erpressungen, Bombardierungen und Zwangsräumungen, die das Viertel sechs Jahre lang heimsuchten.
Weiterlesen







